Lass mich nicht hängen!

Hinter jedem Plan, jeder Aufgabe oder Erledigung steckt ein initialer Wunsch, eine Notwendigkeit, eine Idee zur Weiterentwicklung. (bei pro-cras ist das allgemein ein „Projekt“). Einmal ins Leben gerufen, unterliegt solch ein Projekt einem eigenen Lebenszyklus, bestehend aus vier Etappen, die jeweils erledigt, gänzlich abgelehnt oder u.U. auch verschoben werden.

Die ersten drei Etappen sind das Beginnen, Dranbleiben und Zuendebringen. Für sie ist das Risiko des Prokrastinierens allseits bekannt und Gegenstand und Grund für vielfache Sorgen, Ärgernisse und Ratschläge.

Die vierte und am wenigsten bedachte Etappe im Lebenszyklus eines Projekts ist jedoch das Loslassen. Hier findet auch der Übergang zu einer weiteren Störungsform statt, dem Horten.

Im idealen Fall beendet man sein Projekt und geht zum nächsten über. Oft aber ist das scheinbar Fertiggestellte noch nicht reif, losgelassen zu werden;

oft wird ein angefangenes oder abgelehntes Projekt insgeheim am Leben gehalten;

oft wird ein abgeschlossenes Projekt noch hoch und heilig weiter verehrt als Benchmark oder als Heldentat;

oft werden die organisatorischen, materiellen, emotionalen oder geistigen Kapazitäten nicht freigegeben;

oft wird ein erledigtes Projekt noch als Sicherheit oder Existenznachweis gehortet.

Dann ist das scheinbar harmlose Nicht-Loslassen ein veritables Aufschieben geworden, ein reflexhaftes Prokrastinieren der abschließenden, der endgültigen Schlussetappe: Loslassen, Ab- und Weglegen.

Wenn Projekte, anders als bei einem erledigungsschwangeren „später“, unbegrenzt, aber antriebsleer eingezäunt und gehegt werden, vielleicht, damit niemand anderer darauf Zugriff haben kann, oder weil ein dauerhafter Wichtigkeits- oder Kompetenznachweis zur Hand bleiben soll, oder weil „das Herz sosehr daran hängt“, dann ist, genau wie bei übertriebener materieller Sammelwut, auch hier der Begriff des Hortens angebracht, gegebenenfalls auch des pathologischen Hortens.

Prokrastination und pathologisches Horten treten oft gemeinsam auf, dann oft auch in Gesellschaft ihrer gemeinsamen Schwester, der perfektionistischen Verhaltensweise. Wenn nämlich ein bereits beendetes Projekt nicht abgelegt werden kann, da es noch nicht die Auszeichnung des „Perfekten“ erhalten hat. Für den Abschluss war es wohl allemal gut genug, nicht aber für denjenigen, der seinen Namen oder seinen Ruf mit dem perfekten Arbeitsergebnis verbinden möchte.

Welche persönlichen Bedürfnisse oder Strukturen sich jenseits des einzelnen Projektes in diesem Nicht-Loslassen-Können verbergen, kann vielfältig sein. Sie führen gleichermaßen zielsicher zu dem Phänomen des pathologischen Hortens, das in diesem Blog ebenfalls einer besonderen Betrachtung gewürdigt werden soll. (sh. hier)