Stuttgart 21, aber auch BER etc.

Wenn Projekte nicht fertiggestellt werden und Abschlussdaten regelmäßig in eine immer wieder neu formulierte Zukunft umformuliert werden, kann man mit einigem Grund auf den Gedanken kommen, dass auch hier  der Prokrastinationsteufel im Spiel ist. Typisch ist zudem, dass im Ergebnis nicht nur das Projekt in seinem Zeitplan ausufert, sondern entsprechend dazu (oder eher sogar exponentiell) die Kosten steigen, als Folgesymptom der Prokrastination.

Tatsächlich finden sich Parallelen im Phänomen der Prokrastination bei Einzelpersonen wie bei gemeinschaftlichen Vorhaben von Teams, Projekten, Führungsgruppen, auch Regierungen.

Nun kann man jede Prokrastination als ein Art Selbstschutzreflex verstehen: Die argumentatorische Notwendigkeit um einen immer wichtiger werdenden Perfektionismus lässt die Besorgnis ansteigen, im Ergebnis zu versagen, und damit die Schwächen des Projekt-Anfangs und seiner Initiatoren aufzudecken. Prokrastination findet solange statt, wie die zugrundeliegenden Defizite fortbestehen.

Wer als Einzelperson aufschiebt, weil ihm zwischendurch an irgendeiner Stelle die finanzielle, planerische, kreative Puste ausgeht, weil wichtige Kenntnisse oder Fähigkeiten fehlen, verhält sich nicht anders als der Betreiber eines Großprojekts, der überproportionale Kostgensteigerungen und Terminverschiebungen damit begründet, dass wichtige Komponenten der Planung nicht vorlagen, falsch oder illusorisch waren.

Bemerkenswert bei der kürzlichen Bekanntgabe der neuen Stuttgart 21-Planziele ist, dass nicht das operative Gremium des Bauherrn, also der Vorstand der Deutschen Bahn, der faktische „Macher“) dieses Eingeständnis der Abschlussverschiebeng auf morgen (also von bisher 2021 auf 2025) und der Kostenexplosion bekannt gab, sondern der Aufsichtsrat, das Kontrollgremium, das nicht nur festzustellen hatte, dass die Fortführung wirtschaftlicher sei als der Abbruch, sondern das eigentlich auch das prokrastinative Verhalten zu analysieren und zu beheben hätte.

Die Folgen prokrastinativen Verhaltens sind immer schmerzhaft. Immerhin hat das betroffene Individuum stets die Chance, für sich konstruktive und zukunftsweisende Folgerungen daraus zu ziehen. Gremiem, die ja u.a. die Summe tendenziell prokrastinierender Individuen sind, haben es da deutlich schwerer.