Schuster tragen (immer?) die schlechtesten Schuhe

Als vor 3 Jahren meine Zahnzusatzversicherung ausreichend einbezahlt war, hätte es endlich losgehen können – und sollen, denn ein Coach und Therapeut muss den Mund aufmachen können, für’s Beraten und für’s Selbst-Marketing. Nur, es ging nicht. Die Zähne waren in einem unerträglichen Zustand.

Weil das limbische System nicht vergisst

Schlimme Befürchtung, was da auf mich zukommen würde, alte Schmerzerinnerungen an die Rumpelbohrer meiner Jugend, „Flashbacks“ („Schwester, bitte die Fräse“) und regelrechte Panik machte es mir leicht, die Zahnsanierung vor mir herzuschieben. Wenn ich mich dann einigermaßen von der Notwendigkeit und Richtigkeit des Sanierungsprojekts überzeugen konnte, wurde der finanzielle Aufwand zum überschaubaren Hindernis. War das wieder einigermaßen auf der Reihe, standen „wichtige“ Termine im Wege, Vortrags- und Seminarveranstaltungen, Workshops, Urlaubsreisen, Familienfeste, Weihnachten… Und dann war da noch die nicht entscheidbare Wahl des Zahnarztes… Und alles wieder von vorne.

pro-cras entstand

Seit Jahren arbeite ich daran, der Beherrschbarkeit der Prokrastination – zunächst als zeitlich/organisatorisches, dann als mental/motivatorisches, schließlich als lebensgeschichtlich/emotionales Phänomen –  auf den Grund zu kommen. Während dieser Zeit habe ich an die 100 Zwangsaufschieber in eine autonome Zeitgestaltung zurück geführt. Und seit 3 Jahren – vermutlich sogar noch länger – schiebe ich mit immer neuer Geschicklichkeit und Selbstüberzeugungskraft ein für mich selbst wichtiges und zukunftsbedeutsames Thema vor mir her. Meine Glaubwürdigkeit gegenüber meinen Klienten und Klientinnen war davon nicht beeinträchtigt – im Gegenteil! Es gab keinen Reflex, kein Argument, keinen selbstbetrügerischen oder argumentativen Schleichweg, keine Befürchtung die ich nicht kannte, und deren Verankerung hielt – bis auf einen: Ich selbst war mir der schwierigste Fall – war, denn:

Es ist geschafft

Seit Anfang des Jahres tu ich nun endlich das, was ich schon lange schuldig geblieben bin, meiner Glaubwürdigkeit, meiner beruflichen Qualifikation, meinem ästhetischen Anspruch, meiner Freude am ungehemmten Lachen, Reden, Essen, Küssen…

Nach wie vor bin ich überzeugt, dass man seine guten Vorsätze nicht als eine Art Selbstverpflichtung veröffentlichen soll, um nur einfach sich den Rückweg zu versperren – der Schuss kann zu leicht nach hinten losgehen, wenn nämlich der Entschluss nicht hundertprozentig hält, und dann ist die Beschämung noch größer, das Aufschieben weiter zementiert.

In meinem Fall sind der erste, der zweite und der dritte Schritt getan, morgen im vierten soll nun das kommen, vor dem mir am allermeisten graute: ein ausgiebiger zahnchirurgischer Akt, den ich mir mit schlimmsten Befürchtungen vorgestellt und damit unmöglich gemacht habe – und auf den ich mich jetzt regelrecht freue.

Natürlich wollen sich die Angstreflexe immer noch durchsetzen; Sie sind ja automatisiert und jahrelang trainiert. Und Freude wäre wohl eher das letzte, was man sich jetzt abverlangen würde. Und doch ist sie die Emotion, die am ehesten berechtigt ist. Jahrelanges Aufschieben, ständige Beschämung und Unzufriedenheit mit dem unbeherrschten Verhalten sollen jetzt endlich ein Ende finden! Wie schön, an die Stelle einer negativen Emotion jetzt eine positive, freudvolle Erwartung stellen  zu können!

Widerstände – ja klar

In diesem Blog habe ich über das Aufschiebethema „Scham“ geschrieben. Scham über das vergangene Aufschieben und seine Folgen kreiert neue Scham, derentwegen man sich auch jetzt nicht der Situation stellen mag, und damit wieder neues Aufschieben. Stimmt: Was soll der Zahnarzt von jemandem halten, der seine wertvollen Beißer auf solch eine verantwortungslose Art verkommen lässt, der ich so anstellt, und der darüber hinaus auch noch anderen etwas Hilfreiches darüber mitgeben will!

Nun ja, wenn mir jetzt oder auch später (der Arzt meint, er sei mit meinem Reparturauftrag für dieses Jahr beschäftigt) wieder alte Zweifel an diesem Projekt aufkommen, finde ich allerhand gute Tipps und Anregungen in diesem Blog. Und freue mich, wenn neue Stolpersteine aufkreuzen, mit denen ich lernen muss, umzugehen. Sie und meine Klient/imen sollen gerne davon profitieren.

Wie kam es, und wie geht es weiter

Was letztendlich den Ausschlag dafür gegeben hat, aus dem Teufelskreis auszusteigen, in dem man sich zumindest für einige Zeit mehr oder weniger gut einrichten konnte, ist einen weiteren Eintrag wert. Ob es das Ergebnis langer Analysen, Introspektiven, selbst-therapeutischer Maßnahmen, innerer oder äußerer Zwäng war, oder das alles umwerfende einschneidende Ereignis? Beides gab es, und ich werde versuchen, dort das eine sorgfältig von dem anderen zu trennen, oder sinnvoll zusammenzufügen.