Im Schatten junger Mädchenblüte I

Als grundmenschliches Verhalten findet sich das Aufschieben natürlich auch in der großen Weltliteratur wieder, etwa in der „Suche nach der verlorenen Zeit.“ Hier beschreibt Marcel Proust sehr kenntnisreich und sicherlich auch aus eigener Erfahrung die typischen Erscheinungsformen der Prokrastination.

Hier einige Auszüge (aus Marcel Proust, Im Schatten junger Mädchenblüte, Frankfurter Ausgabe, Auf der Such nach der verlorenen Zeit 2,Werke II, Band 2, Suhrkamp 3642, S. 219 ff):

„Wäre ich weniger entschlossen gewesen, mich endgültig an die Arbeit zu machen, hätte ich vielleicht einen Versuch unternommen, gleich damit anzufangen. Da aber mein Entschluss in aller Form gefasst war und noch vor Ablauf von vierundzwanzig Stunden im leeren Rahmen des morgigen Tages […] meine guten Vorsätze sich leichthin verwirklichen würden, war es besser, nicht einen Abend, an dem ich schlecht aufgelegt war, für den Beginn zu wählen, …

dem die folgenden Tage sich jedoch leider ebenfalls nicht günstiger zeigen sollten.

Doch ich riet mir selbst zur Vernunft. Von dem, der Jahre gewartet hatte, wäre es kindisch gewesen, wenn er nicht noch einen Aufschub von drei Tagen ertrüge. […]

Unglücklicherweise war der folgende Tag auch nicht der weit offen vor mir liegende Zeitraum, den ich fieberhaft erwartet hatte. War er zu Ende gegangen, hatten meine Trägheit und mein mühevoller Kampf gegen gewisse innere Widerstände nur vierundzwanzig Stunden länger gedauert.

Und als dann nach mehreren Tagen meine Pläne nicht weiter gediehen waren, hätte ich nicht mehr die gleiche Hoffnung auf baldige Erfüllung, daraufhin auch noch weniger das Herz, dieser Erfüllung alles andere einfach hintanzustellen. […]“

So geht es munter weiter – beziehungsweise eben nicht weiter: Der solchermaßen Prokrastinierende fällt sehr schnell in seinen alten unproduktiven Zustand zurück, schlimmer noch: Er macht eine dritte Person nun dafür verantwortlich nur, weil diese ihn an die anstehende Erinnerung erinnern wollte. Große Pläne bleiben in einer Handlungshemmung hängen, die sich aus einem Gemisch von Auslösern zusammensetzt: fehlende konkrete, vor allem eigene Zielsetzung, fehlende innere Motivation, fehlende Arbeitsstrukturen, fehlende Reflektion der eigenen Gefühlslage, überbordende, aber unbegründete Großartigkeitsgedanken.

Vor diesem Hintergrund kann das Vorhaben nur scheitern.