für therapeutisch Interessierte

Denn ja: Prokrastination muss nicht, kann aber durchaus auch aus einem medizinischen Blickwinkel verstanden werden.

 

 

Störende Gewohnheit oder Impulskontrollstörung?

Diese Frage könnte auch heißen: Beratung, Coaching oder Therapie?

Im breiten Spektrum menschlicher Verhaltensweisen, Abhängigkeiten und Freiheiten kann die Reaktion auf einen Erledigungsauftrag sehr unterschiedlich ausfallen: Heißt sie „Ja!“ oder „Nein!“, so ist das als klare Antwort leichter zu handhaben als ein „vielleicht“ oder „morgen“. Denn das ist nicht planbar und deswegen störend. Es stört den Projektablauf, und es ist Ausdruck einer grundlegenden Störung der/s Prokrastinierenden in seiner Beziehung zu seinem Projekt und zu sich selbst.

Solch ein wiederholt auftauchendes „Stören“ lässt schnell auch an eine „Störung“ im psychotherapeutischen Sinne denken: Die Persönlichkeits-Störung, ein Systematisierungs- und Diagnostizierungs-Konzept, das oft aber so eindeutig nicht sein kann, wie es gerne verwendet wird.

Wenn der Drang zum Prokrastinieren deutlich mehr als schlichte Bequemlichkeit ist,  dann vor allem in solchen Fällen, wo er auf verstörende Entwicklungsereignisse im Kindes- und Jugendalter verweist, die damals nur durch hemmendes, verzögerndes und vermeidendes Reagieren bewältigt werden konnten. Dies wurde dann auch später als „bewährtes“ und deswegen automatisiertes Rektionsschema beibehalten, auch wenn es „maladaptiv“ inzwischen mehr schadet als nützt.

Prokrastination ist Hinweisgeber

Aufschieben erweist sich, wenn exzessiv betrieben, als eine mehr oder weniger bewusste Suche nach mehr Identität und Kohärenz, gesteuert aus dem zutiefst menschlichen Wunsch nach einer größeren Stimmigkeit im Ausdruck der familiären, gesellschaftlichen oder beruflichen Beziehungen. Das Ausweichen in die Handlungs- oder Entscheidungsvermeidung (‚Prokrastinieren‘) wird so deutlich von dem Prinzip der Konsistenzregulation durchzogen, dass es „angemessen erscheint, von einem obersten oder pervasiven Regulationsprinzip im psychischen Geschehen zu sprechen.“ (Klaus Grawe, Neuropsychotherapie 2004).

Aus den Wechselwirkungen und systemischen Verschränkungen früherer Erfahrungen und Bewertungen mit den gegenwärtigen Umständen entsteht so eine Symptomatik, die wir erkennen und für einen übergeordneten Veränderungs- und Heilungsprozess nutzen können.

„Zeit heilt alle Wunden“

Nein! Zeit bringt vielleicht Abstand und ein gewisses Vergessen, das besser als Dissoziation zu beschreiben wäre. Aber Zeit heilt keine seelischen Wunden, erst recht nicht die traumatischen. Dazu gehören auch solche, die den dringenden Wunsch nach künftiger Vermeidung durch Aufschieben hervorbringen. Sie entstehen nicht immer aus den großen, deutlich erkennbaren Katastrophen. Oft sind es die ‚Traumata mit dem kleinen t‘, aus dem subjektiven, zugleich überwältigende Gefühl des Alleingelassen- oder Verlorenseins, der nicht äußerbaren Rat- und Hilflosigkeit, Traurigkeit, Mutlosigkeit oder Gefahr.

Nach der Definition von Albrecht von Müller ist auch das Aufgeschobene ein solches „Trauma-Partikel, das durch die Zeit weitergereicht wird“, und das ein weiteres Mal auf das verweist, was William Faulker in seinem Requiem for a Nun mit den Worten beschrieb: „The past is never dead. It’s not even past“. Die Vergangenheit ist niemals tot. Sie ist nicht einmal vergangen.

So versteht sich unsere Arbeit am Prokrastinations-Verhalten (‚pro cras‘ = lat.: auf oder für morgen) immer auch ein Stück weit als Heilungsprozess an den Neuentfaltungen unserer Vergangenheit – für ein weniger belastetes ‚morgen‘.

Die Art zu sein: Persönlichkeit  – the art to be

Unser ganz eigenes Verhalten in besonderen Lebens- oder Krisensituationen macht ‚Persönlichkeit‘ aus. Wenn hieraus eine „Störung“ erwächst, bot sich der Begriff der „Persönlichkeitsstörung“ an, der hilfreich schien bei dem Versuch, in die Vielzahl der Phänomene eine gewisse Übersichtlichkeit zu bringen. Er stigmatisierte jedoch in unzulässiger Weise die scheinbar unnormalen Verhaltensweisen – problematisch schon alleine vor dem Hintergrund, dass es ein sauber abzugrenzendes „normal“ im menschlichen Verhalten nicht geben kann. Soziokulturelle, epochentypische und familiengeschichtliche Eigenheiten bilden einen jeweils eigenen Rahmen für ein stets individuelles Verhalten einer Person in einem Kontinuum von gesellschaftlich wünschenswerten, akzeptablen oder untragbaren Verhaltensweisen, die jeweils fremdschädlich oder -nützlich, belohnungs- oder bestrafungswürdig sein können.

Um die unterschiedlichen Weisen, wie Menschen ihre Persönlichkeit leben, zu beschreiben, hat sich inzwischen der Begriff „Persönlichkeitsstil“ angeboten, für die Grenzziehung zwischen „Normalität“ der Eigenarten und der Abweichung die „Dimensionalität“.

In Betracht gezogen werden muss auch, für wen bzw. durch wen eine Eigenart im Verhalten überhaupt als störend wahrgenommen wird. Schließlich drückt sich in einem individuellen Persönlichkeitsstil immer auch eine besondere Überlebenskompetenz seines Trägers aus, sein persönlicher Schutz vor Vulnerabilität. Aus dieser Funktion kann sich ein langfristig angelegtes Rollenverhalten, ein „in Fleisch und Blut“ eingegangenes Reagieren entwickeln, das eine hohe Interaktionssicherheit verspricht.

Entstehung

Persönlichkeitsstile entwickeln sich bereits im frühen Kindes- und Jugendalter. Ihre Entstehung wurde  sehr genau im Rahmen der Säuglings- und Bindungstheorie untersucht. Hier zeigte sich in Langzeitstudien, in welch unterschiedlicher Weise Menschen dem Leben und der Welt begegnen, je nachdem wie ihnen ihre erste Bindungsperson zur Verfügung stand. Signifikant sind die Zusammenhänge zwischen dem Maß der Sicherheit und Verlässlichkeit früher Bindung und psychopathologischen Eigenheiten und psychischer (In-)Stabilität im späteren Leben bei Borderline-Persönlichkeitsstörungen, Angststörungen, Abhängigkeitserkrankungen oder Impulskontrollstörungen – allesamt Auffälligkeiten an der Wiege eines pathologischen Aufschiebeverhaltens.

Weiterentwicklung

Persönlichkeitsstile können im Erwachsenenalter fortbestehen, können sich aber auch verändern – zum Negativen wie zum Positiven. Die positive Veränderung interessiert uns in der Prokrastinationsarbeit natürlich in besonderem Maße. Hier begegnen wir erlernbaren Größen wie „Bewältigungskompetenz“ (Coping), „Selbstwirksamkeit“, „Selbstsicherheit“ oder „Offenheit für Erfahrungen“, aber auch selbst- und fremdbezogener Wertschätzungskompetenz, Krisenbewältigungskompetenz oder Liebesfähigkeit.

Von der lebenslangen Lernfähigkeit und der Plastizität des Gehirns haben wir längst gehört. Hier wird sie konkret: Eine Verbesserung des Persönlichkeitsstils lässt Prokrastinieren unnötig werden, und die Loslösung von den Aufschiebereflexen wirkt sich positiv auch auf angrenzende Störungsbilder aus.

Eine Beziehung auf Gegenseitigkeit: Prokrastination und die psychischen Komorbitäten

Wenn Prokrastination nicht nur das Zurückschrecken vor einer besonders kniffligen Herausforderung ist, sondern der Ausdruck einer oder mehrerer Persönlichkeitsstörungen, so lässt sich vermuten, dass sie in einem äußeren oder inneren Zusammenhang stehen kann mit weiteren Störungen, mit denen sie verschwistert ist, oder die aus ihr hervorgegangen sind.

Tatsächlich finden sich solche verwandtschaftlichen Ähnlichkeiten und Teilaspekte bei den Persönlichkeitsstilen des so genannten „Cluster C“: der Selbstunsicherheit der Vermeidung oder übertriebener Selbstkritik, dem Entweder-Oder der Borderline-Störungen, der Zwanghaftigkeit des Perfektionismus, der dependenten Störung, die dem selbständigen Arbeiten im Wege steht, dem passiv-aggressiven Widerstand des heimlichen Saboteurs, dem dramatischen Einfordern von heldenhafter Aufmerksamkeit.

Die Besonderheit der Prokrastination

Aufschiebendes Verhalten kann sich von einer begründeten und taktischen Nicht-Erledigungs-Strategie hin zu einer Impulskontroll-Störung erstrecken, wie sie unter der Kategorie F.63.9 des ICD-10/11 gelistet ist. Als ‚Hyperkrastination‘ wird sie zu einem verselbständigten und sich der Kontrolle entziehenden selbst- und fremdschädigenden Verhalten.

Prokrastination wird in unterschiedlichen Lebensaltern festgestellt bzw. erworben: bereits als Kleinstkind, im Kindergartenalter, in der Grundschule, im Alter von ca. 11 Jahren, im Lauf der Pubertät, im Studium, in der Eigenbezogenheit des selbständig Tätigen, nach besonderen Lebenserfahrungen, und noch im fortgeschrittenen Alter.

Prokrastination ist oft, aber nicht unbedingt, an bestimmte Aufgaben oder Aufgabenarten gebunden, ist ebenso situativ wie emotionsabhängig, oft viele jahrelang rezidiv, kann aber unter günstigen Umständen auch von einem Moment auf den anderen sich auflösen.

Deskriptiv-symptomatische Merkmale

Prokrastinierende Situationen äußern sich in 5 Phasen:

  • Vor dem entscheidenden Übergang zum Aufschieben:
    • durch einen zwingenden Impuls: Ein unwiderstehliches Verlangen oder Drang zum Aufzuschieben, häufig nicht aus zielgerichtetem Verhalten motiviert und z. T. auch gegen den Willen der Betroffenen.
    • durch Kontrollverlust: Die Betroffenen können dem Drang, Aufzuschieben nicht oder nicht mehr widerstehen.
    • durch erhöhte Spannung: als starke innere Erregung und/oder als Unruhe.
  • Während des entscheidenden Übergangs zum Aufschieben:
    • durch ‚Erlösung‘: Erledigungs-Vertagung erzeugt spontane Gefühle der Freude oder zumindest der Erleichterung.
  • Nach der impulsiven Handlung:
    • durch Schuldgefühle, Selbstvorwürfe oder Reue.

Auf der langfristigen Beobachtungsebene zeigt sich eine große Bandbreite in der Wiederholung des Problemverhaltens von wenigen Episoden pro Jahr bis hin zur alltäglichen (Verhaltens-)Gewohnheit mit zunehmendem Kontrollverlust.

Episoden des Aufschiebens unterscheiden sich strukturell von gewohnheitsmäßigem Prokrastinieren und Hyperkrastination

Gelegentliches Aufschieben ist als das Resultat eines Defizites der motivationalen Kontrolle zu sehen. Mit zunehmender Häufigkeit erfolgreicher Vermeidungsimpulse werden später diese Impulse automatisiert („habitualisiert“) und künftig vom System der motorischen Kontrolle ausgeführt.

Komorbiditäten

Neben der Impulskontrollstörung werden im psychischen Bereich als begleitende Störungsbilder beobachtet:

Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, affektive Störungen, Angststörungen, Persönlichkeitsstörungen, Substanzmissbrauch, Störungen des Sozialverhaltens, Zwangsstörungen.

Im somatischen Bereich sind alle tonus- und antriebsvermindernden organischen Störungsfaktoren abzuklären.

Krankheitsgewinn

Eine besondere Bedeutung nimmt in der Prokrastination der so genannte ‚(sekundäre) Krankheitsgewinn‘ ein, der in zweifacher Weise eintreten und verstärkend wirken kann:

Prokrastinieren, wenngleich „Störung“ der normalen Leistungserbringung, verschafft zumindest zeitweilig und vor allem unmittelbar im Moment des Aufschiebens dem Aufschiebenden die angenehmen Gefühle einer Entlastung in einer psychisch angespannten Situation. Nicht selten kommt hierzu noch der Gewinn hinzu, dass die als unangenehm oder aversiv empfundene Aufgabe nicht (oder nicht mehr) durch ihn zu erledigen ist, wenn sie nämlich wegen ihrer Dringlichkeit jemandem anderen übertragen wird oder auf andere Weise zu Erledigung kommt.

Ursachen für das unkontrollierte Aufschieben

Prädisponierende Faktoren wie genetische Variationen, Geschlecht, traumatische Kindheits- oder Erlebenserfahrung, psychosoziales Umfeld oder die Verinnerlichung von ungeprüft anerkannten Glaubenssätzen begünstigen die Neigung zum Aufschieben. Komorbiditäten begleiten häufig und scheinen als Auslöser und/oder als Störungssyndrom eine wesentliche Rolle zu spielen.

Aufschiebeimpulse und das Aufschieben selbst können mit positiven, lustvollen bis euphorischen Gefühlen einhergehen und als ich-synton erlebt werden oder mit ängstlichen Gefühlen und Anspannung, die durch das Aufschieben Erleichterung findet, und als ich-dyston wahrgenommen werden, verbunden sein.

Prokrastinierende weisen im Moment der (Nicht-)Handlungsentscheidung sowohl motorische wie auch motivationale Kontrolle-Defizite auf. Typisch ist das zwanghafte, beinahe kataleptische Meiden von Orten, Gegenständen oder Bewegungen/Gesten, wie beispielsweise das Öffnen eines Briefkastens im Falle einer erworbenen ‚administrativen Prokrastination‘.

Die „Suchmaske“

Jede Ergebnisfindung bei der Suche nach Ursachen wird beeinflusst vom Blickwinkel des Suchenden: seiner „Suchmaske“. Wohin der systematische Schwerpunkt gelegt wird, findet sich auch die Einordnung der Gründe. Bei meiner Prokrastinationsarbeit spielen sowohl die Erklärung wie auch die Auflösung des störenden Verhaltens eine zentrale Rolle. Entsprechend erklärt sich meine Methodik als eine Verbindung psychodynamischer und verhaltenstherapeutischer Ansätze auf der Basis einer modernen neurobiologischen Sichtweise. In der hierauf begründeten Schematherapie finden sich ebenso plausible persönlichkeitsorientierte Erklärungs- wie auch Bewältigungsmodelle.

Therapie

Für Verhaltensveränderungen, vor allem im Zwischenmenschlichen, werden Mentoring- oder Coachingmaßnahmen eingesetzt. Maßnahmen hingegen, die beabsichtigen, Leidenszustände zu verändern, werden als Therapie bezeichnet – im körperlichen wie im seelischen Bereich. Unter anderem unterscheidet man dabei die kausale, also ursachenbezogene, und die symptomatische Therapie, die sich mit den sichtbaren Merkmale der Erkrankung auseinandersetzt.

Entsprechend der derzeitigen Auffassung wird die Prokrastination nicht als eine „Krankheit“ behandelt, auch wenn von ihr oft ein erheblicher Leidensdruck ausgeht, sowohl für die direkt Betroffenen wie auch für ihr Umfeld. Aus medizinischem Blickwinkel könnte Prokrastination als ein funktionales Symptom (oder ein komplexes Störungssyndrom) bezeichnet werden – funktional deswegen, weil sie sowohl symptomatisch auf eine bestehende Störung verweist, als auch direkt der Bewältigung oder Kompensation dieser Störung dient.

Wenn im Prokrastinieren der (meist untaugliche) Versuch unternommen wird, ein zugrunde liegendes Defizit auszugleichen oder eine (vielleicht sogar unerkannte) Schwierigkeit zu bewältigen, zeigt sich darin oft eine früh erworbene und dann habituierte Verhaltensweise, die mit geeigneten therapeutischen Ansätzen sehr gut erkannt und einer Veränderung zugeführt werden kann.

Pharmakotherapeutische Ansätze (v. a. serotonerg, μ-Opioidrezeptorantagonisten und Stimmungsstabilisatoren) haben in der Prokrastinationsbehandlung bislang nicht überzeugen können. Zur Versorgung begleitender oder auslösender komorbider Störungen (AD(H)S, Depression, Hypothyreose etc.) können sie ein wichtiger Bestandteil der dortigen Therapie sein.

Hilfreiche Ansätze aus Psychotherapie und Coaching :

Grundsätzlich steht der Satz im Vordergrund: „Verhaltensweisen ändern, nicht ganze Lebenssituationen in Frage stellen“.

Mit dem pro-cras-Konzept werden in einem ersten Schritt die Hintergründe und Auslöser des Prokrastinierens aufgedeckt, und das eingeübte „schematische“ Verhalten bewusst gemacht. Im zweiten Schritt wird dieses nicht nachhaltig nützliche Verhalten mittels kognitiv-, verhaltens- oder schematherapeutischer und persönlichkeitsorientierter Techniken bearbeitet und schließlich durch ein neu zu erlernendes funktionales Alternativverhaltens ersetzt.

Komorbide Auslöser und Folgen werden gegebenenfalls zusätzlich versorgt.

Der LEDZ GO!©-Scan

Hinter dem Akronym LEDZ GO! verbirgt sich ein Analyse-Programm, mit dem wir zu Beginn jeder Prokrastinations-Behandlung  unsere Aufmerksamkeit auf die Bereiche der Betroffenen- und der Projekt-Persönlichkeit richten, die der Tendenz zum Aufschieben Nahrung geben.

Im Einzelnen wird  hierauf im → Fragenkatalog zum LEDZ GO!©-Scan eingegangen.

Das Mikroanalytische Interview

ist: „Basiselement der Erfassung des entscheidenden Gegenwartsmoments in der psychotherapeutischen Arbeit“, nach M.D. Daniel N. Stern.

Um uns der situativen Entstehung der Entscheidung zum Prokrastinieren zu nähern, bedienen wir uns der Technik des „Mikroanalytischen Interviews“, indem wir die Mikroentscheidung mit ihren kognitiven und affektiven Begleiterscheinungen isolieren, verstehen und nutzen.

Im mikroanalytischen Interview untersuchen wir zunächst nicht, was geschah, sondern wie der Klient den entscheidenden Gegenwartsmoment spürte – nach Möglichkeit vor dem Hintergrund eines unmittelbar erlebten, oder auch real visualisierten Moments, der das Potenzial besitzt,  in die Prokrastination auszuweichen. Beteiligt sind an dieser Stelle unterschiedliche und kaum bewusste psychodynamische Faktoren aus der expliziten Erinnerung, dem Kanon der verinnerlichten Glaubenssätze, Erfahrungen und Erwartungen.

Der Gegenwartsmoment ist jetzt in seinem Erlebt- und nicht Erinnertwerden noch im vorkognitiven (d.h. nicht gedankenkontaminierten) Zustand, ist somit pures emotionales Narrativ. Da aus diesem heraus der erste Impuls zum Aufschieben gegeben wird, finden wir hier die wichtigen affektiven Auftraggeber für das Einschwenken in eine „fürsorgliche“ Prokrastination.

LEDZ GO!©-Scan und das Mikroanalytische Interview haben sowohl klärende wie regulierende Wirkung und sind insofern nicht nur Vorbereitung, sondern bereits methodischer und integraler Bestandteil der pro-cras-Behandlung.

Wenn im Laufe der intensiven Beschäftigung mit den persönlichen Lebens- und Erlebensumständen des Prokrastinierens besonders beachtenswerte Aspekte auftauchen sollten, werden diese natürlich in gegenseitiger Absprache und im Rahmen der fachlichen Gegebenheiten weiterversorgt: mittels Coaching oder therapeutischem Ansatz.

Schematherapie als therapeutischer Ansatz

Die Schematherapie verbindet bewährte Methoden der kognitiven Verhaltenstherapie mit Elementen anderer bewährter Therapieverfahren. Sie ist als Behandlungsverfahren komplexer Probleme der Selbstkontrolle und Selbstregulation seit Jahrzehnten bewährt und weiterentwickelt worden.

Selbstkontrolle und Selbstregulation rücken immer dann in den Vordergrund, wenn beabsichtigte Verhaltensänderungen oder Anpassungen auch gegen den erklärten eigenen Willen nicht möglich sind. Genau solches wird oft aus dem Erleben einer hartnäckigen Prokrastination berichtet: Der Vorsatz ist gefasst und gut begründet, wird aber einen Tag um den nächsten nicht in die Tat umgesetzt. Und dies mit den doppelt unangenehmen Folgen: Der weiterbestehenden drängenden Erledigungsnotwendigkeit einer bedeutenden, womöglich existenziellen Angelegenheit, und dem wiederholten Erleben von persönlicher Niederlage, Beschämung, Enttäuschung und persönlichem Versagen – durchaus auch in dem Sinne, sich selbst etwas Befreiendes ‚versagt‘  d.h. nicht erlaubt zu haben.

Bemerkenswerterweise greift dieses Gefühl zurück auf eine ähnliche, schon viel früher erlebte Erfahrung, als noch in (früh-)kindlicher Zeit die Nichterfüllung grundsätzlicher Grundbedürfnisse als zutiefst frustrierend wahrgenommen wurde – im Rahmen eines Verhaltens-„Schemas“, das auch künftig als maßgebend in die weitere Lebensführung übernommen wurde. Und das sich auch heute noch automatisch einklinkt, wenn die Umstände daran erinnern.

Prokrastination schematherapeutisch verstehen und ändern

"Solange ein Mensch eine Situation anders haben will als sie ist, bleibt die Inkongruenzspannung hoch. Erst wenn er sie akzeptiert [und für sich und seine Bedürfnisse verwendet (d.A.)] hat, ist der Sachverhalt für die aufmerksamkeitslenkenden Prozesse "langweilig" geworden ... und kann losgelassen werden." 

- Eckard Roediger, Praxis der Schematherapie -

Es sind Erfahrungen oder Gefühle von Unzulänglichkeit,  Isolierung, Zurückweisung, emotionaler Entbehrung oder Verletzlichkeit, die das Aufschieben von Erledigungen oder Entscheidungen so attraktiv machen. Vielleicht auch die der Inkompetenz, einer resignierenden Selbst-Unterwerfung unter scheinbar unveränderliche Umstände, oder im Gegenteil auch eine gewisse Grandiosität mit entsprechend überhöhten Standards, die aus ihrer Unrealisierbarkeit heraus in eine gegenteilig pessimistische Resignation führen können.

Wir sehen dann das Ablehnen von Disziplin, der immer aufs Neue in Frage gestellten Bereitschaft, sich mit langweiligen oder unangenehmen Aufgaben zu befassen. Wir sehen „keine Lust“, sich aufzuraffen, den inneren Schweinehund zu überwinden. Oder das halbherzige Tun, die stille Sabotage, das trotzige Zurückstufen einer bereits festgelegten Priorität. Und wir sehen den Verlust eines ursprünglich hochmotivierten Verantwortungsgefühls, der sich dann mit dem Erleben von tiefer Schuld und Scham verbindet.

Solche „schematischen“ Reaktionen lassen sich den fünf „Domänen“ zentraler, jedoch vernachlässigter Grundbedürfnisse zuordnen, die sich an der Wurzel von sich wiederholenden Verzögerungs- oder Aufschieberoutinen finden:

Domäne Prokrastinations-Potenzial
Ablehnung und Abgegrenztheit Kritik u. Selbstkritik, Erfahrung von Demütigung u. Ausgrenzung, (Selbst-)Sabotage
Autonomie und Leistung nicht erfahrene Selbstwirksamkeit, Vermutung der Inkompetenz in Erledigung oder Entscheidung, Verletzlichkeit
Umgang mit Begrenzungen Umgang mit Frustration und eigenen Gefühlen, Schonverhalten, Vermeidung von unangenehmen Situationen
Außenorientierung Arbeiten auf Anordnung, unter Druck u./o. Motivation und Leistungsbeachtung durch andere, Hintanstellen der eigenen Bedürfnisse
übertriebene Wachsamkeit latente Angst, etwas falsch zu machen, Neigung zum Perfektionismus oder wegen dessen Nichtleistbarkeit zu Pessimismus und zur Entscheidungsunfähigkeit

Aufschiebe-Routinen,

die deutlich über die Eigenheiten eines „technischen“ Aufschiebens hinausweisen (siehe hierzu den → LEDZ GO©-Scan), werden oft aus der schematherapeutischen Sicht heraus erst genau verstanden.

Auf dieser Grundlage werden sie dann veränderbar, reduzierbar und regulierbar.

 

Weitere Informationen bitte unter: info@pro-cras.de – 0211 999 1656 – 01520 988 7 966