Ablenkung, Aufmerksamkeit und Willen

Vieles wird aufgeschoben, weil die Aufmerksamkeit auf ein Thema nicht gehalten werden kann, weil die knappe Zeit der Ablenkung geopfert wird. Ablenkung ist tatsächlich eine der sieben Hauptursachen für Prokrastination.

Die Aufmerksamkeit an einer Sache aufrecht zu erhalten steht im Widerspruch zu unserem natürlichen Bedürfnis, etwas abzuschließen. Dies sorgt dafür, dass es so etwas wie eine willkürliche Daueraufmerksamkeit nicht gibt. Was als scheinbare Daueraufmerksamkeit angesehen wird, ist in Wirklichkeit eine Reihe aufeinanderfolgender Anstrengungen, die Aufmerksamkeit immer neu auf das gleiche Objekt zu richten, um es mit unbeirrter Beständigkeit zu betrachten.

Dem entsprechend beschrieb William James (1842 – 1910), einer der Begründer der amerikanischen Psychologie, bereits 1890 in seinem Werk Principles of Psychology die Rolle, die der Willen für die Aufmerksamkeit spielt:

„Während der spontane Drang des psychischen Geschehens ganz und gar nach anderer Richtung strebt, muss die Aufmerksamkeit festgehalten werden bei dem einen Objekt, bis es einen ausreichenden Wichtigkeitsgewinn erfährt, so dass es sich selbst mit Leichtigkeit vor dem Bewusstsein behaupten kann. Diese Anspannung der Aufmerksamkeit erfordert einen fundamentalen Willensakt.“ (Quelle & Meyer, Leipzig, Übers. Marie Dürr 1909, Kap XII, S. 226)

Den Ausweg aus diesem Dilemma liefert er gleich mit, indem er den deutschen Physiker und Mediziner Hermann von Helmholtz zitiert:

„Der natürliche ungezwängte Zustand unserer Aufmerksamkeit ist, herumzuschweifen zu immer neuen Dingen. Sobald das Interesse an einem Objekt erschöpft ist, sobald wir nichts Neues daran wahrzunehmen wissen, geht es gegen unseren Willen auf anderes über. Wollen wir unsere Aufmerksamkeit an ein Objekt fesseln, müssen wir eben an diesem selbst immer wieder Neues zu finden suchen, besonders wenn andere kräftige Sinneseindrücke sie abzulenken streben.“ (Ebenda, S. 454)

Der Wille, eine Aufgabe durchzuführen, beschränkt sich demnach nicht auf die einmal gefasste Erledigungsabsicht, sondern zieht seine Beständigkeit aus einem immer neu aufzurufenden Wollen, welches dem Rückfall ins Vertagen, ins Prokrastinieren zuvorkommt.

In der Praxis geschieht dies dadurch, dass beispielsweise bereits mit dem Beginn einer prokrastinationsbedrohten Tätigkeit die latente Aufschiebegefahr erkannt und wachgehalten wird. Dadurch werden die ersten Anzeichen einer Null-Bock-Stimmung leichter erkannt, und die in Stocken geratende Aufmerksamkeit kann immer neu angestoßen werden. Dies geschieht etwa beim Lesen eines Textes dadurch,

  • dass man in kürzeren Abständen Resümees zieht oder Notizen macht,
  • dass man kreative und erholende Pausen einlegt,
  • dass man die Pausen gegen ungewollte Social Media- , YouTube- oder andere mediale Entgleisungen absichert,
  • dass man das Projekt aus einem neuen Gesichtswinkel betrachtet,
  • dass nach neuen Motivationen sucht etc.

So gelingt es, eingefahrene Verhaltensmuster, die in den Aufmerksamkeitsverlust und dadurch ins Porkrastinieren führen, zu unterbrechen.