Wenn der Körper uns sagt, wo es lang geht

Die Hoheit der Gefühle

Aufschieben: Manche empfinden es einfach nur als Bequemlichkeit, „Null-Bock“ oder als „keine Lust jetzt“. Tatsächlich aber entsteht der Aufschiebereflex aus einem innerlich gefühlten Widerstand, der von den Begleitumständen einer Erledigung, so genannten Triggern, ausgelöst wird. Solche Gefühle sind keineswegs nur als nebensächlicher oder romantischer „Schmus“ abzutun. Dafür können sie sich viel zu wirkungsvoll und bestimmend durchsetzen. Sie sind der konkrete, im Zwischenhirn abgespeicherte Niederschlag früherer Erinnerungen und Reaktionen, die uns auf diese gefühlvolle Weise immer noch in ihren Bann ziehen und beeinflussen, so spontan und reflexhaft, dass unser Denkhirn mit seinem Verstand regelmäßig überholt wird und sich erst hinterher korrigierend einmischen kann.

Der Verstand erklärt uns die Welt,

die Gefühle mit dem Körper als ihrem Ausdrucksapparat lassen sie uns erleben, wahrnehmen, ganz subjektiv spüren – und dann auch sehr schnell und reflexartig reagieren. Noch bevor wir uns solch einer Reaktion bewusst werden, hat der Körper seinen Schutzauftrag schon erfüllt: mit einem Blinzeln das Auge bedeckt, die Hand aus einer Gefahrenzone zurückgezogen, die ersten wichtigen Hormone und Neurotransmitter auf den Weg geschickt und als Blitzreaktion verarbeitet. Solche sensomotorischen Fähigkeiten sind überlebenswichtig und seit frühester Kindheit eingeübt und laufend optimiert.

Nur eine kleine Bewegung

In der Therapie (ebenso wie in der Selbsttherapie) ist es hilfreich, diese innerlichen Regungen wahrzunehmen, zu lesen und zu verstehen, wo immer sie sich körperlich zu erkennen geben. Sie sind die Art und Weise, wie sich unser Inneres äußert. Z.B., wenn eine kleine, kaum wahrnehmbare Bewegung des Kiefers sich als eine Bewegung offenbart, mit der Gefühle im Kontakt mit anderen Menschen reguliert werden, etwas eine Angst, nach etwas zu fragen, die man schon seit der Kindheit kennt, oder ein Bedürfnis, sich zurückzuziehen, ohne dafür abgelehnt zu werden. Ein kleines mimisches Signal, das ebenso diskret wie vielsagend sein kann. Und das uns der Körper gibt.

Mit der Spannung auch die Situation lösen

Der Moment, in dem der ursprüngliche Handlungs- und Erledigungsimpuls gebremst oder sogar abrupt umgelenkt wird, kann von einer kleinen mimischen Geste begleitet und auch zeitlich verortbar sein, weil genau mit ihr bereits in einer früheren Situation ein (Aus-)Weg zur körperlichen Gefahrenabwehr und Stressminderung erhofft wurde. Ein ungünstig verlaufener Zahnarztbesuch könnte beispielsweise der Ursprung gewesen sein. Eine solche kleine Geste aufzunehmen kann ebenso unwillkürlich die Spannung der gegenwärtigen Situation lösen und dadurch eine selbstregulierende Veränderung einleiten. Der Körper mit seinem voreiligen Instrumentarium hätte dann das geschafft, was weit außerhalb der Reichweite des nachdenkenden Verstandes lag.

Gilt in jeder Beziehung

Auch in der Begegnung mit Gegenständen oder Situationen, die nicht in direktem Bezug zu anderen Menschen stehen, z.B. Erledigungen, die man gerne aufschieben möchte, werden körperliche Reaktionen spürbar (und für den Außenstehenden oft auch sichtbar) werden, die Rückschlüsse auf den Ursprung oder eine sonstige Verbindung zur Unterbrechung des Handlungsimpulses geben können. Die Beziehung des Ausführenden zu seinem Objekt ist durch eine emotionale Regung gestört, die nicht selten bereits in eine entsprechende körperliche Regung umgewandelt wurde: das Herz schlägt heftig, ein Übelkeitsgefühl taucht auf, oder ein Empfinden von Druck oder Schwindel. Nicht immer weisen solche Gefühle direkt auf den körperlichen Signalgeber, wie es vielleicht bei zitternden oder „weichen“ Knien vermutet werden könnte. Dafür sind vermutlich schon etliche ähnliche Situationen vorgefallen, die bereits ihre Spuren hinterlassen haben. Aber der Körper hat seine Warnsignale gegeben, so dass eine Überprüfung der Situation (z.B. mit Hilfe der LEDZ GO!©-Analyse) leicht zur Lösung der Zurückhaltung beitragen kann.

„Körperpsychotherapie“

Mit ihr wird in unserer Arbeit an dem Phänomen Prokrastination die einseitige kognitive Ebene gerne verlassen, weil das Körpergedächtnis und -erleben, der große Fundus der Gefühle und das unbewusste, aber vielsagende Repertoire des Embodied Mind uns wichtige Hinweise gibt, die unserem klugen und doch nur beschränkt wahrnehmungsfähigen Verstand nicht zur Verfügung stehen. Die zugrunde liegende Annahme, dass Prokrastination nicht die „Krankheit“ ist, sondern „nur“ das Warnsignal für einen internen Beziehungsfehler, und dass dieses Signal sorgfältig gelesen und interpretiert werden muss, wodurch die Prokrastination überflüssig wird, findet ihre Bestätigung und ihre Unterstützung dort, wo die körperbezogene Psychotherapie integrativer Teil des Klärungsprozesses ist.