Selbstschädigend sich verhalten

Die Steuern dulden nun auch den kleinsten Aufschub nicht mehr, die Zwangsvollstreckung einer strittigen Rechnung droht, der Schufa winken ganz hässliche Einträge, und bei der anstehenden Neubewerbung sind derartige Negativmerkmale das pure Gift im Lebenslauf. Der „Dachstuhl brennt“ also lichterloh, und doch verstreichen auch die aller letzten Deadlines ungenutzt. Wie kann das sein, und vor allem: Was kann man gegen solches selbstschädigendes Verhalten tun?

Zunächst müssen wir den Begriff „selbstschädigend“ modifizieren.

Denn solches Verhalten will ja gerade Schaden abwenden –  den enorm schmerzenden emotionalen Schaden, der tief im Innern sich meldet. Dass daraus ein anderer (Kollateral-)Schaden entsteht, hat keineswegs eine selbstschädigende Absicht, sondern ist unvermeidliche Begleiterscheinung. Darum will ich hier lieber von „selbsthinderndem“ Verhalten sprechen.

Die Frage nach dem Wieso ist damit zum Teil schon beantwortet: Aufgeschoben wird, weil es eine tief angelegte Verletzlichkeit gibt, die behütet werden soll. Unser Unbewusstes hat seine Prioritäten, die je nach Situation durchaus neu geordnet werden. Solange die drohenden inneren Schmerzen machtvoller sind als die äußeren Folgeschäden, wird aufgeschoben. Deswegen gilt die Feststellung:

Unangenehmes wird aufgeschoben, weil und solange es geht.

Solange man sich noch in der Lage sieht, den drohenden Folgen des Aufschiebens etwas vermeintlich Stärkeres entgegenzusetzten, leistet man sich den Luxus, dafür einen „Zeit-Kredit“ aufzunehmen und auch empfindliche Überziehungsprovisionen und Strafzinsen zu zahlen. Wenn irgendwann die alternativen Argumente aufgebraucht sind, ist in der Regel auch die Bereitschaft zur Aufnahme weiterer Zeit-Kredite schnell verflogen. Allerdings geht es jetzt ans Tilgen.

Manche Menschen mögen nicht „auf Pump“ leben.

Sie erliegen dann auch nicht den Versprechungen eines Sich-möglicherweise-leichter-Tuns in der Zukunft, und nehmen keine Zeit-Kredite in Anspruch. Sie haben dafür vielleicht hilfreiche Vorbilder, oder Maximen oder Überzeugungen wie zum Beispiel: „Was unangenehm ist, wird immer als Erstes erledigt!“, oder „Wenn ich die Kröte schon schlucken muss, dann ist es überhaupt nicht hilfreich, sie vorher noch lange anzuschauen!“

Wem solche Überzeugen nicht zur Verfügung stehen, tut sich hingegen schwerer, der Verlockung eines Aufschubs nicht zu verfallen. Dies umso mehr, als der Genuss des frisch gewonnenen Spielraums ein solches Verhalten auch noch belohnt – zumindest kurzfristig. Soll doch das Unangenehme warten – ich genieße erst mal die warmen Sonnenstrahlen der frisch gewonnenen Freiheit.

Wie geht es weiter?

Entweder bis zum bitteren Ende, das heißt: bis es dann recht bald nicht mehr geht, bis die Mächte des Faktischen sich nicht mehr länger hinhalten lassen. Die  bleiben gnadenlos am Ball und bestehen ohne weitere Rücksichten auf Rückzahlung der Zeit-Kredite.

Oder den konstruktiven Weg wählen: das von einem sensiblen Inneren vorgespielte Hinderungsszenario hervorholen und kritisch auf seinen Wahrheitsgehalt und auf seine aktuelle Relevanz hinterfragen.

Hierbei wird sich dann zweierlei herausstellen:

Erstens gibt es eine tiefe und von ganzem Herzen begrüßte Sehnsucht nach Klarheit du Ordnung der Dinge, nach Planung und erfolgreicher Planung und Erledigung – selbst unter Inkaufnahme kurzfristiger Anstrengungen und Mühen.

Zweitens zeigt es sich, dass die alten und bisher hinderlichen Befürchtungen nur in ganz alten abgetragenen Kleidern stecken, aus denen man längst herausgewachsen ist. Lediglich die Erinnerungen an Erfahrungen, die man mit ihnen durchgemacht hat, konnten bis heute noch überdauern. Sie haben aber mit Ihrer heutigen Situation nicht wirklich mehr zu tun.

Es lohnt sich, diese alten Klamotten endgültig zu entsorgen. Sie sind nur das Zerrbild Ihrer alten Erinnerungen. Ihr schützendes Unbewusstes meint es zwar gut mit Ihnen. Aber, zeitlos wie es nun mal ist, hat es die längst und unauffällig vonstatten gegangenen Veränderungen nicht umgesetzt. Hier also liegt der Schlüssel: In der Neubewertung des Handlungskontextes, in dem wieder einmal das Nicht-Tun als die scheinbar einzige „Handlungs-„Option angeboten wird.