Prokrastination und das „falsche Selbst“

Wieder einmal zeigt sich in der Praxisarbeit, wie häufig die Prokrastination als ein bewusst hinausgezögertes Aufschieben bestimmter Erledigungen ihren wahren Ursprung in einer keineswegs bewussten Selbstsabotage haben kann, die sich tatsächlich gegen das eigene „falsche Selbst“ richtet.

Wo zuvor der Mensch gezwungen wurde, sein eigenes Selbst aufzugeben bzw. seine Selbstentwicklung zu verleugnen, wo er falsche Aufträge erledigen und fremden Plänen folgen musste – was oft aber nicht immer bereits in den frühen jungen Jahren geschieht -, kann dennoch irgendwann der Moment kommen, wo aus Unterwürfigkeit und einem Leben im falschen Selbst eine neue Aufmüpfigkeit, ein Ausbruch in das eigene, wahre Selbst gewagt wird. Die Nichterledigung fremder Aufträge erscheint dann nach außen als Nichtkonformität gegenüber der oktroyierten Regel, als abmahnungswürdige Pflichtverletzung durch Prokrastination, ist aber tatsächlich die Neuentdeckung des eigenen, des wahren Selbsts und die erste zaghaft-mutige Hinwendung zu ihm.

Die bisherige Konformität mit den Standards anderer, diese Gut-sein auch um den Preis der eigenen Willensbildung und -Durchsetzung wird dann als Verrat an den eigenen Möglichkeiten erkannt und aufgegeben.

Prokrastination an der Trennungslinie zwischen äußerer Konformität und innerer Verweigerung der Unterwerfung.