Burnout ist keine Lösung

Gelernt ist gelernt?

Als ich meine erste berufliche Ausbildung in Form einer Banklehre erhielt, verbrachte ich einen Ausbildungsabschnitt in einer Stadtfiliale, in der es ein wahres Panoptikum von Arbeits- und Bewältigungstypen gab: Den jovialen Filialleiter, der hauptsächlich zur Akquisition außer Haus war, ein paar lebenslustige Damen, die sich um die Buchhaltung, den Schalter und die Spareinlagen kümmerten, den Kassierer, der in seinem Glaskasten sein Eigenleben führte. Und, ebenfalls in einem eigenen Glasabteil, den Kreditsachbearbeiter. Ein schon etwas älterer Mitarbeiter, dessen faltiger Hals aus einem stets zu weiten Hemdkragen von einem stets rot-explosiven Gesicht gekrönt wurde, des in tausend Sorgenfalten zersprungen war. Er hatte, für alle gut sichtbar, einen nie schwindenden Aktenberg auf seinem Schreibtisch, den er schnaufend und unablässig stöhnend „Ich schaff das nicht, ich schaff das nicht!“ bearbeitete.

Ich glaube, ich war damals unter diesem Eindruck fest davon überzeugt, dass verantwortungsvolle Schreibtischarbeit immer etwas mit Überarbeitung und dem Gefühl kompletter Überforderung zu tun haben müsse. Und damals schon war ich der tiefen Hoffnung, dass mein eigenes Berufsleben nicht aussehen würde. Und doch hat es noch Jahre und viele Schritte in die falsche Richtung gebraucht, bis ich das für mich umsetzen konnte.

Burnout ist keine Lösung

Wenn die Überforderung von allen Seiten auf uns einstürmt: Beruf und Karriere, Familie, Gesundheit, soziales Netzwerk, persönliche Vorlieben und Schwächen – wenn der Tag immer ein paar Stunden zu wenig hat, dann droht Burnout. Wir haben verschiedene Lebensrollen zu spielen, die nicht mit einander vereinbar und folglich auch streng zu trennen sind.

„Ich schaff das nicht“

Dieser Stoßseufzer ist regelmäßiger Ausdruck der folgenreichsten psychologischen Erkrankung am Arbeitsplatz, die sich mit Ihrem Bemühen um besseres Zeitmanagement, um Stressabbau und Erholungszeiten allein nicht immer vermeiden lässt. Denn der grundlegende Fehler liegt nicht bei Ihnen, der Sie sich um ein immer noch besseres Funktionieren bemühen, sondern bei den Arbeits-Strukturen, in denen Sie Ihre Leistungen abliefern müssen. Strukturen, auf die Sie in den meisten Fällen keinen unmittelbaren Einfluss haben.

Vorbeugendes oder behandelndes Zeitmanagement versucht allenfalls, die Folgen der strukturellen Fehleinstellung gering zu halten. Eine davon ist die Forderung nach ständiger Verfügbarkeit. Um diese durchgängig aufrecht erhalten zu können, werden wir auf der technischen Ebene zur ständigen Erreichbarkeit durch die untereinander vernetzten Kommunikationsmedien verpflichtet, auf der organisatorischen Ebene durch die Forderung nach permanentem Multitasking.

Die Folge: Berufliches Aufmerksamkeits-Defizit

Das zutiefst natürliche Bedürfnis und die Notwendigkeit, sich auf eine Sache voll zu konzentrieren, kommen beim Multitasking grundlegend zu kurz. Solange jedoch  in der Erwartung der Chefs und in der Erfolgsprogrammierung der Angestellten gleichermaßen die Idee vorherrschen darf, dass möglichst viel möglichst gleichzeitig in den selben Erledigungszeitraum zu packen ist, um ihn möglichst produktiv und gewinnbringend zu nutzen, wird sich daran nichts ändern.

Modernes, zukunftweisendes Zeitmanagement würde dann nicht heißen: Möglichst viel zur gleichen Zeit, damit viel erledigt wird, sondern: Möglichst für jedes seine eigene Zeit, damit möglichst viel Qualität möglich wird.

Stress als Loyalitätsbeweis?

Eine Änderung der internen Arbeitsstrukturen kann nicht der Einzelne für sich einfordern und praktizieren. Er wird damit den Gepflogenheiten seiner Firma, der zuwiderlaufen. Deshalb bleibt zunächst alles, wie es ist. Wer das segensvolle Mittagsschläfchen als einziger am seinem Arbeitsplatz abhalten will, kann nicht auf entsprechende Anerkennung bei seinen Chefs oder seinen Kollegen hoffen. Wäre allerdings ein Ruheraum mit entsprechenden Betriebsvereinbarungen eingerichtet, sähe die Sache ganz anders auch: Ein Teil der Firmenkultur könnte sich ändern. Wenn zukunftsorientierte Firmenkultur als ein Teil der Führungsaufgabe im Unternehmen gesehen würde.

„Held der Arbeit“ oder lieber Deserteur durch Prokrastination

Solange es zu Stil des Hauses gehört, dass gut verdiente und verdienende Mitarbeiter ihren Herzinfarkt diskret (aber folgerichtig) nicht während der Arbeitszeit, sondern in den ersten Urlaubstagen bekommen, ist man davon leider noch weit entfernt. Darin zeigt sich deutlich, dass Führungs-Verantwortung nicht in vollem Umfange erkannt oder zugunsten eines kurzfristigen Bilanzdenkens auf später verschoben wird. Fragen der körperlichen und auch seelischen Gesundheitserhaltung einzig auf die angestammte staatlichen oder industriellen Institutionen abzuladen erscheint im Zeitalter des Outsourcings zwar logisch und sinnvoll, wird aber weder der teuer eingekauften Qualität der Mitarbeiter noch der langfristigen Ausrichtung des Unternehmens gerecht.

Psychische Erkrankungen am Arbeitsplatz kosten deutsche Unternehmen inzwischen bis zu 88 Millionen Euro jährlich. Aber gerade in Zeiten des Fachkräftemangels sollte jedes Unternehmen auf motivierte und gesunde Arbeitskräfte Wert legen. Strukturen zu ändern, die der ganzheitlichen Qualität der Mitarbeiter zugutekommen, hat nicht unbedingt mit Sozialromantik zu tun, sondern ist ein handfestes Argument im Sinne der Erhaltung und Verbesserung der künftigen Marktpositionierung.