Oblomowerie

Oblomowerie

Wenn etwas nicht getan, sondern lieber vor sich her geschoben wird, kann dies viele Ursachen haben. Über eine wird dabei am wenigsten gerne gesprochen: die Faulheit. Dabei ist gerade sie doch die interessanteste: Man kann sich über sie ärgern, oder versuchen, sie nicht wahrzunehmen, oder sie auch zeitweise genießen. Nur wegdiskutieren kann man sie nicht.

Damit wir etwas freier (und fairer) über Faulheit reden können, geben wir ihr hier einen anderen, weniger geläufigen Namen, der sich auf die literarische Figur des Ilja Iljitsch Oblomow des russischen Autors Gontscharow bezieht. Die Romanfigur Oblomow war so gründlich, kindlich und selbstvergessen handlungsgehemmt, dass sie auch für einen heutigen zutiefst „faulen“ Menschen noch zum idealen Vorbild gereichen könnte. Diese Oblomowerie ist nämlich die quasi „edle“ Form der Faulheit, einer Lebensweise, die sich nicht vom Erfolg, vom frühen Trimmen auf Höchstleistung, vom hochgelobten Ergebnis einer Arbeit einwickeln und korrumpieren lassen will.

Faulheit

Alle Menschen durchlaufen seit ihrer frühesten Kindheit differenzierte Entwicklungsstadien, die ihre Lebensführung noch bis in die späten Jahre hinein bestimmen. Wenn solche Wachstumsprozesse an gewisser Stelle gestört oder gar unterbrochen werden, können manchmal auch Eigenständigkeit und Regsamkeit stocken und zum Erliegen kommen, kann „Faulheit“ zum Über-Lebensprinzip geraten. Ein Mensch, der in einer infantilen, einer nicht-erwachsenen, passiven oder gar ängstlichen Haltung gegenüber den leistungsbezogenen Aufforderungen der (fleißig und angestrengt schaffenden) Gesellschaft verharrt, wird irgendwann von dieser Umwelt in seiner Rückzugs-Position nur noch pauschal als „faul“ ab- und disqualifiziert werden. Aber auch da wollen wir gerne noch etwas genauer hinschauen. Denn auch die ärgsten Schattenseiten haben irgendwo ihre starken lichten Quellen, aus denen sie erst entstehen konnten.

In der Gegensåtzlichkeit ähnlich

Wo auf der einen Seite eine Hyper-(Über-)Aktivität zu einem überbordenden Handlungszwang führen kann, ist andererseits bei einem hypo-(unter-)aktiven Menschen eine gründliche Handlungshemmung denkbar. Sie pauschal als „Faulheit“ zu bezeichnen, ist schon deshalb nicht angebracht, weil darin eine Bewertung mitschwingt, die davon ausgeht, dass der Betroffene durchaus eine Wahl gehabt hätte, statt inaktiv doch alternativ auch aktiv zu werden. Beide Extreme, der Handlungszwang wie die Handlungshemmung, entstehen jedoch aus Konstellationen, in denen eine Wahlfreiheit nicht immer gegeben ist. Nichtsdestoweniger ist dann auch im Nachhinein noch eine solche scheinbare Grundstruktur auf ausdrücklichen inneren Wunsch veränderbar, wodurch dann auch eine gänzlich neue Haltung selbst einem als schwierig angenommenen Erledigen gegenüber eingenommen werden kann.

Wandel

Dass eine zurückhaltende, passive Haltung schon früh eingeübt und kultiviert wurde, bedeutet nicht, dass sie nicht immer auch veränderbar oder umwandelbar sein kann. Sie muss allerdings als solche erst einmal erkannt und tatsächlich auch als veränderungswürdig wahrgenommen werden.

Unentschlossenes, inaktives Verhalten ist letztlich nur eine unter vielen möglichen Formen menschlichen Handelns, Denkens und Fühlens. Es ist deshalb auch mit einer lebenslangen neuronalen „Plastizitätsgarantie“ ausgestattet, einem ihm innewohnenden Veränderungspotenzial, das jederzeit in Gang gesetzt werden kann.

Deswegen ist es uns ein wichtiges, prokrastinations-wendiges Anliegen, uns inhaltlich mit dem Vorwurf der „Faulheit“ auseinander zu setzen. Nur: Um dem schlechten Leumund dieses Wortes und der ihm innewohnenden Pauschalverurteilung zu entgehen, werden wir sie lieber als „Oblomowerei“ benennen und in ihrem Wert schätzen. Und bei allem Ehrgeiz im Auge behalten, ob nicht Arbeitseinsatz, Leistung, Tempo, Disziplin und praktische Lebensfähigkeit eingetauscht werden gegen einen schmerzlichen Verlust an Gefühl, Tiefgang, Einfühlungsvermögen und Liebesfähigkeit.