Kür oder Pflicht beim Zeitmanagement

Um gegen das Aufschieben rasche und spürbare Wirkung zu erreichen, konzentrieren sich Prokrastinations-Beratungen gerne darauf, den Umgang mit dem Übeltäter No. 1 zu verbessern, der prokrastinationssensiblen Komponente Zeit und deren Management. Denn hier wird eine besondere Notwendigkeit und wohl auch ein rascher Erfolg vermutet wird. Aber ist das wirklich der vorrrangige Ansatz?

Als Hebelpunkte für ein besseres Zeitmanagement werden die Faktoren Zeit-Planung, -Einteilung oder -Straffung, vielleicht der Zeitverlust durch Ablenkung, die Berücksichtigung von Biorhythmen oder die teils segensreichen, teils störenden Einflüsse von Smartphones thematisiert – durchaus wichtige Einzelaspekte, deren Klärung hilfreich ist, die aber doch nur nachgeordnet sind. Sie zu bearbeiten bedeutet, den zweiten Schritt vor dem ersten zu tun.

Warum? Und worauf kommt es zuallererst an?

Wir Menschen legen in einer frühkindlichen und ganz grundsätzlichen Weise fest, wie wir in unserer Persönlichkeitstrukturierung und -entwicklung die Verwendung von Lebens- und Handlungs-Zeit ganz individuell empfinden und uns zu eigen machen. Dies geschieht im Einklang und Spiegel des vorgefundenen familiären und sozialen Umfelds, in dem wir uns in der frühesten Kindheit aufhalten, und der Zeitnutzung unserer nächsten Umgebung, die wir vorfinden, übernehmen und darin „baden“. So wird bereits als Beginn einer Persönlichkeitsstruktur angelegt, welche Rolle das Phänomen Zeit in unserem künftigen Leben spielen wird. Darum findet sich in dieser Entwicklungsphase auch der Grund dafür, warum viele Menschen, ob Prokrastinierer oder nicht, ein unbestimmtes Gefühl in sich tragen, sie hätten schon ein Leben lang ihren ganz bestimmten und stets gleichen Umgang mit der Zeit gehabt.

Im Moment eines akut sich anbahnenden Aufschiebereflexes ist das persönliche und vorgeformte Zeitverständnis parallel bereits präsent und unterschwellig wirksam. Entsprechend setzt sich jetzt deutlich durch, ob die momentan vorgesehene Handlungszeit innerhalb der Bandbreiteals „Kür“ oder als „Pflicht“ genutzt wird, also als ein frei und kreativ verwendbarer, vielleicht sogar „atmender“, auch wachsender Zeit-Raum, oder als eine streng zugeteilte, vorrangig der Zielerreichung verpflichtete, letztendlich verzehrte Zeit–Ration verstanden und verwendet wird.

Der Gegensatz, der sich aus diesen zwei Positionen ergibt und in der Auswirkung nicht maßgeblicher sein könnte, wird dann deutlich, wenn manche Menschen im Gebrauch ihrer Zeit von bestimmten Uhr- und Kalenderzeiten geradezu besessen sind, während andere mehr auf ein bestimmtes Ergebnis hinarbeiten.  Und so macht es einen Unterschied, ob man sich möglichst streng um eine Nutzung und Strukturierung des Zeitkontingents bemüht, oder mehr um die Vergegenwärtigung und Wertschätzung der Tätigkeitsinhalte, der persönlichen, projektbezogenen oder vielleicht auch übergeordneten Werte und Ziele. Erst wenn beim Handelnden hierüber Verständnis und Klarheit herrschen, sind detaillierte Methoden zur Verbesserung an der „Schraube Zeitmanagements“ sinnvoll, geschweige denn nachhaltig.