Die traurige Rebellion

Das Nicht-Erledigen eines Auftrags kann als Ungehorsam, stiller Widerstand oder offene Rebellion verstanden werden – und ist oft auch so gemeint (wenn auch nicht immer so benannt). Seine Zeit der engagiertesten Rebellion erfährt der Mensch meist während des Heranwachsens, wenn die ihm vorgeschlagenen oder aufgezwungenen Lebens- und Verhaltensnormen so überhaupt nicht den Träumen und Vorstellungen über das eigene authentische Leben entsprechen. Die Handlungspläne, die für Eltern oder Erziehern erfüllt werden sollen, werden verworfen, während ein Eigenes an diese Stelle treten könnte, das aber leider nicht vorhanden ist und auch nicht entwickelt wird. So passiert es, dass die im pubertären Alter auftauchenden bereits halbwegs erkennbaren Lebensansätze unverwirklicht bleiben, der leere Raum aber auch nicht sinnvoll gefüllt werden kann, und der jugendliche Enthusiasmus in frustrierter Langeweile oder auf Abwegen verkümmert.

Irgendwann wird dann ein Doppelleben daraus: Ein privates, das sich zwischen den Familienpflichten und einer ansatzweisen Selbstverwirklichung aufteilt und den Auftragserfüllungen, die der berufliche Kontext abverlangt. Wenn dann die alten Träume oder zumindest die alten Fähigkeiten zum Träumen noch nicht gänzlich abgestorben sind, braut sich womöglich in aller Stille eine Widerstandshaltung zusammen, die mit Handlungsverzögerung und innerer Sabotage anfangen kann, um später – je nach Persönlichkeit – beim Internisten, beim Psychiater, beim Priester oder nach heftiger Midlife-Krise in einem neuen Lebensentwurf zu landen. Wobei nicht ausgeschlossen ist, dass dieser dann jenseits aller idealisierenden Träume und Erwartungen von Prekarität, SGB III und Hartz IV diktiert wird.

Prokrastination ist, daran sollte man immer denken, ein sehr beredtes Indikator-Symptom für etwas, das nicht (mehr) rund läuft, und das jetzt gerne endlich gesehen werden möchte. Die Aussagen der Prokrastination bleiben oft unverstanden. Das Umfeld kann sie nicht einordnen, und der Betroffene ist mehr mit der Bekämpfung dieser Arbeitsstörung beschäftigt als mit ihrer Deutung.  Letztendlich wird aber einzig eine gründliche Anschauung der Widerstände und der sie begleitenden Emotionen dazu beitragen, dass künftig das vermeidende Aufschieben nicht mehr nötig sein wird.