Termine im Chronos

Chronos

„Termine“ heißen nicht ohne Grund auch „Deadlines“, denn ihre Missachtung kann fatale Folgen haben. Termine sind die herausragenden Momente im Fluss der Zeit, der gerne als „Time-Line“, als gleichmäßig voranschreitende Linie vorgestellt wird. Zuständig bereits bei den alten Griechen war hierfür der Gott Chronos. Wir alle kennen ihn aus Begriffen wie Chronik, Chronometer oder Chronologie, die von einem regelmäßigen und verlässlichen Zeitablauf ausgehen.

Heute ist die Vorstellung der Zeit als stets gleichbleibender Fluss nicht mehr haltbar. Das erleben auch prokrastinierende Menschen anders. Für sie ist die sich immer neu rhythmisierende Außen-Zeit nicht hinreichend syn-chronisier-bar mit dem eigenen inneren Zeiterleben. Termine, Vorhaben und Entscheidungen finden für sie keinen klaren und verbindlichen Platz im Laufe ihrer Zeit. Die Positionierungen erfolgen freibleibend, und es wird beliebig Zugriff genommen auf Bereiche der Vergangenheit („das Rad zurückdrehen“) oder auf die Zukunft („auf morgen vertragen“, „prokrastinieren“).

Kairós

Jedes Ding hat seine Zeit. Einerseits, weil Zyklen sich in der Zeit wiederholen, andererseits, weil manches in seiner Art einmalig ist. Auch dies haben die alten Griechen in einer Götterfigur anschaulich gemacht: Kairós. Ein geflügelter Genius, der sich schnell nähert, mit einem dichten Haarschopf auf der Stirn und einem glatt rasierten Schädel am Hinterkopf. Er ist damit Sinnbild des richtigen Moments, der unvermittelt auftaucht, und den man entschlossen „beim Schopfe packen“ muss, da es sonst nichts mehr zu greifen gibt. Ein nicht ergriffener Kairós kann dann aus dem Fluss der Chronos-Zeit nicht die sich anbahnende Veränderung hervorbringen: Sinnbildlich trägt er daher als potenzieller Ereignisauslöser auf der Schneide eines Messers die Schicksalswaage des Menschen vor sich her.

Die Furcht vor der Endgültigkeit einer Entscheidung, die Angst, eine falsche Entscheidung zu treffen, und aus lauter Angst erst gar nicht zu entscheiden, die Blindheit und die Reaktionsschwäche gegenüber dem Moment der Entscheidung, und die Anwesenheit von entscheidungshemmenden Strukturen heißt dem entsprechend Kairophobie.

Bewusstes Handeln in der Gegenwart

Gegenwärtigkeit im Handeln setzt eine funktionierende Zeit-Bewusstheit voraus. Menschen, die prokrastinieren müssen, haben ihren Kontakt mit der Zeit verloren – sei es aufgrund belastender Erfahrungen, lebensgeschichtlicher Ereignisse, oder es war  für sie „einfach immer schon“ so.

Prokrastination orientiert sich dabei an den verschwommenen Spuren aus der Vergangenheit, fällt emotional in diese zurück, um sich gleich darauf in eine unvorbelastete Zukunft zu „beamen“ und damit die schützende Entlastung vorzuspielen. Sie erweist sich als „eine Störung, die darin besteht, nicht im Hier und Jetzt präsent sein zu können“. Diese Formulierung, die der Traumaforscher Peter Levine als charakteristisch für das Trauma gefunden hat, trifft deswegen auch für chronisches Prokrastinieren zu, weil das „Einfrieren“ im Handlungsfluss sehr oft aus der Wahrnehmung, Erfahrung oder Erwartung von Bedrohung entsteht – einer Art von Mini-Traumatisierung, die allgegenwärtig, aber nicht von jedem gleichermaßen leicht zu bewältigen ist.