Prokrastination, eine verständliche aber falsche Reaktion

Aus therapeutischer Sicht ist Prokrastination die Folge einer maladaptiven sekundären Emotion nach Aktivierung einer adaptiven primären Emotion

Ein Aufschiebeverhalten geschieht angesichts einer konfliktbedrohten Situation und aus dem Wiedererahnen einer früheren Erinnerungsemotion, die das sofortige Verlassen der Situation bezweckte, da die Ressourcen zu ihrer Bewältigung nicht zur Verfügung standen. Die damals situativ angemessene Reaktion wurde als Handlungsschema gespeichert.

In der neuen, nur scheinbar vergleichbaren Situation ist das Handlungsschema nicht mehr zielführend, sinnvoll, nicht hilfreich nicht angemessen und dementsprechend „maladaptiv“, sondern vielmehr schädlich, problematisch und psychisch belastend. Sie führt zur Aktivierung einer Kaskade von sekundären maladaptiven Emotionen und durch sie zu einem Bewältigungsschema, das sich in Vor-sich-her-schieben, Nicht-wahr-haben-wollen, Verzögern, Ignorieren äußert. Prokrastination, sowohl chronische wie gelegentliche, kann auf maladaptiven Emotionen beruhen.

Die unterliegende Erinnerungsemotion ist lebensgeschichtlich in  real erlebter Angst (vor Blamage, Bestrafung, Verstoßung), Scham (Bloßstellen, Abwertung) oder Befürchtung (negative Konsequenzen) oder weiteren aversiven Gefühlen zu verorten, die aus negativen Erfahrungen auf Bedürfnisse aus der Kindheit herrühren (Ablehnung, Enttäuschung, Kritik, Einsamkeit, körperliche oder emotionale Vernachlässigung oder Misshandlung). Die damaligen Emotionen waren durchaus „adaptiv“, da sie dem Rückzug und somit dem Schutz des Kindes dienten.

Anti-Prokrastinations-Arbeit wird sich insofern damit beschäftigen, auf dem Weg über die aktuell erlebte Prokrastinationssituation und den begleitenden Emotionen zu den unterliegenden Situationen und primären Emotionen zu gelangen, um Einsicht darüber zu erreichen, dass es eine „erwachsene“ Antwort auf das Geschehen geben kann, die zu mehr Handlungsautonomie führt als der reflexartige Rückzug.