Tapetenwechsel

Prokrastination, das ist die Scheu, sich jetzt und bedingungslos einer ungeliebten Tätigkeit zu widmen, die erfahrungsgemäß an Empfindungen und Erinnerungen gebunden ist. Diese wiederum sind oft in ganz bestimmten Situationen und deren Umgebung eingebettet – ebenso wie schöne Erfahrungen ihren ganz konkreten geografischen Ort haben, an den man sich in seinen Träumereien gerne zurück beamen möchte.

Was also liegt näher, für das bisher prokrastinierte Aufsetzen eines Schriftstücks, für ein unangenehmes Telefonat oder Gespräch einen unüblichen, ganz anderen Ort auszuprobieren, der emotional nicht (negativ) vorbelastet ist; die Erledigung einer Hausarbeit einfach mal aus der unaufgeräumten eigenen Bude in die Uni-Bibliothek oder zu einer Freundin verlegen? Warum nicht: Ich kenne da jemanden, der sich für eine konzentrierte Arbeit in die Straßenbahn setzt, die ihn zur absoluten Konzentration zwingt, und deren Bewegung ihn beruhigt.

Der Dichter Eduard Mörike hat das vor gut 250 Jahren schon so formuliert:

„Einen verwickelten Gemütszustand, gewisse Schmerzen, Überraschungen und Verlegenheiten verarbeitet man weit leichter in irgendeiner fremden, ungestörten Umgebung als innerhalb der eigenen Wände.“

Nicht nur, dass die alten Belastungen dort nicht mehr anhängen: Das Gehirn entwickelt als Zugabe noch eine kreative Lust an neuen und ungewohnten Wendungen!