Prokrastination ist Verrat am Heute, und am Selbst

Das klingt hart, zugegeben. Erst recht, weil sich der Prokrastinierer ja eher als Opfer sieht: Opfer der widrigen Umstände, der zu engen Termine, der Ängste und lähmenden Emotionen. Sie alle sind ernstzunehmen, gewiss. Aber es stehen auch wenig ehrenwerte  Einschätzungen im Raum, wie etwa Bequemlichkeit, Willens-  oder gar Charakterschwäche. Und jetzt auch noch VERRAT.

Wer aufschiebt, verrät zweifellos ein Vorhaben, eine Vereinbarung, einen Auftrag. Vielleicht auch ein gegebenes Versprechen, eine zugesagte Loyalität im Verhältnis zu einem Anderen – und gegenüber sich selbst ganz wichtige Werte wie Zuverlässigkeit, Anstand, Redlichkeit, Treue – geht es doch oft um die Zusage einer pünktlichen Erledigung, um Pflichterfüllung, um ein Kommittment.

Verrat hat einen unguten Beigeschmack, ähnlich wie Feigheit, die dem Aufschieber ebenfalls mit Leichtigkeit unterstellt wird. Tatsächlich geht es bei beiden um das Ziel, die eigene Haut zu retten, ungeachtet der Konsequenzen.

Prokrastination ist deshalb Verrät, weil er den Widerstand gegen die betreffende Erledigung nicht wirklich formuliert und realisiert. Dann hieße er wohl eher „Revolution“ – gegen die Sache, gegen den Auftraggeber, gegen sich selber in der zugedachten Rolle – wenn einfach der Mut fehlt, sich des Verstandes ohne Rücksicht auf die Konventionen zu bedienen.

Aufschieber sein bedeutet nicht auferlegtes Schicksal, auch nicht die notwendige Konsequenz aus schicksalhaften Ereignissen. Aufschieben ist eine innere Haltung, die oft so wenig wahrgenommen wird wie eine schlechte Körperhaltung, die aber auf die Dauer sich auf die gesamte Lebensführung negativ auswirkt.

Haltungen werden dadurch korrigiert, dass sie isoliert, unterbrochen und neu eingeübt werden, und nicht bejammert.