Was zuerst?

Dringliches steht immer in Konkurrenz zum Wichtigen, wobei das Dringliche sich zu oft gegen das Wichtige durchsetzt, sodass dessen Vernachlässigung zum Phänomen der Prokrastination führt.

Wenn dies gegenüber Menschen, die voll im Bewältigungsstress stehen, angesprochen wird, kommt immer wieder eine große Unklarheit darüber zutage, wo denn die Trennungslinie zu ziehen sei zwischen „wichtig“ und „dringend“. Oft wird dann sogar die Vermutung geäußert, dass man die Unterscheidung nicht treffen könne, weil Dringendes zu erledigen doch wichtig sei, und Wichtiges doch automatisch auch dringend.

Ein Beispiel, wie dieser Wichtigkeits-/Dringlichkeits-Antagonismus dingfest gemacht werden kann, liefert der Fraktions- und Parteivorsitzender der FDP, Christian Lindner, in der Debatte zur Kanzlerinrede im Bundestag. In seiner Rede taucht das Spiel zwischen wichtig und dringend zwar nur eher beiläufig auf, zeigt aber, dass der Grundgedanke hierfür klar verstanden ist. Ich zitiere aus seinem Redebeitrag, der sich zunächst mit den dringen Konsequenzen einer nicht geklärten Migrationspolitik widmet, um dann den Blick vom Dringenden auf Wichtiges zu lenken:

„Digitalisierung, Bildung, die Sicherung unseres Wohlstands und anderes mehr, das sind wichtige Fragen, die nicht auf Dauer von dringlichen Fragen verdrängt werden dürfen.“

Dinge, die nicht erledigt werden, haben die Tendenz, dringend zu werden. Wichtig waren sie schon vorher, oder eben nicht. Wichtig werden sie nicht allein durch den Druck, der an ihnen ausgeübt wird. Im Zweifelsfall ist zu prüfen, ob eine angebliche Wichtigkeit der Sache selber zukommt, oder nur den Abwicklungsumständen.