Ursache des Prokrastinierens

Wann ging das los mit dem Prokrastinieren?

Klient A: „Seit einigen Wochen bekomme ich nichts mehr erledigt. Ich kenne das sonst überhaupt nicht von mir!“, Klient B:  „Bei mir fing das in der Oberstufe an“, und Klient C: „Ich leide, eigentlich solange ich mich zurückerinnern kann, an Prokrastination.“ In dieser weiten Spanne wird von den unterschiedlichen Menschen über ihre Prokrastination berichtet. Für viele begann das Aufschieben in einer Zeit, als schulische Lern-Aufgaben länger getaktet wurden, was einherging mit einem neuen Zeit- und Ich-Verständnis in der Pubertät. Mehr Selbständigkeit in der Lebensführung und in der Zeiteinteilung war später während des Studiums eine weitere Phase, in der das Aufschieben dermaßen dazugehörte, dass man sogar von der „Studentenkrankheit“ sprach. Das alle scheint eine verständliche Reaktion auf prokrastinationsbegünstigende Lebensumstände zu sein.

Schieben Kinder auf?

Manche berichten von frühen und sehr frühen Erfahrungen, sei es auf der Basis der eigenen Erinnerung, sei es aus Erzählungen von Eltern, Geschwistern und Tanten und Onkeln, von Grundschullehrer*innen, Kindergärtnerinnen, ja sogar Hebammen und Schwestern aus der Entbindungsstation, die von sehr früher und sehr schwach ausgeprägter Zielstrebigkeit, von außerordentlicher Trödelei und Desorganisation, einem Verweigern des momentan Notwendigen und eine zögerlichen und aufschiebenden Grundhaltung berichten. Manche ließen sich bereits deutlich zu viel Zeit, ins Licht der Welt zu treten, und haben diese abwartende Haltung durchgängig beibehalten, sehr oft im Widerspruch zu ihrer Erziehung, ihrer Ausbildung und Berufserfahrung, und zu ihren Lebenszielen.

Wenn die Entlassung in immer lockerere Erledigungs- und Kontroll-Umstände anscheinend das Abgleiten in immer ausgeprägteres Aufschiebeverhalten begünstigen könnte, so stellt sich doch die Frage, wie zu erklären ist, warum bei manchen Menschen schon ihre ganz frühen Begegnungen mit der Welt von starken Rückhaltereflexen geprägt sind.

Wofür ist das wichtig zu wissen?

Dass dies nicht nur eine nach rückwärts gerichtete Frage ist, zeigt sich darin, dass sich in dem Bemühen um Überwindung eines ausgeprägten Prokrastinierens das Wissen um die Entstehung des Verhaltens von großer Wichtigkeit sein kann. Ein langjährig geübter Papier-Bearbeitungs-Aufschieber, den regelmäßig ein starkes Aversionsgefühle lähmte, wenn er sich an ein schriftliches Projekt setzte, konnte sich im Laufe seiner Behandlung daran erinnern, dass seine Mutter, an der er sehr hing, zumal der Vater früh verstorben war, ihm seine Schulaufgaben impulsiv wütend auf den Boden schleuderte, weil sie nicht ihren Wünschen entsprechend erledigt waren. Nach einigen wenigen solcher Erfahrungen fand er es nicht nur angenehmer, die Hausaufgaben erst später oder gar nicht zu erledigen. Es hatte sich auch eine unselige Verbindung von widersprüchlichen Emotionen und dem Medium Papier etabliert, die nur von ganz bestimmten Submodalitäten unterstützt wurde, sodass das Hantieren mit anderen Papieren (z.B. Notenblättern, die er für sein viel geliebtes Musizieren verwendete) diese Wirkung nicht zeigte. Nachdem das frühe traumatisierende Erlebnis gezielt therapeutisch versorgt war (EMDR), war auch die abstoßende und ausbremsende Wirkung von Papier sofort aufgehoben.

Pränatal? Oder noch früher?

Zögerliches und aufschiebendes Verhalten in der frühesten Kindheit wird manchmal pränatalen Erlebnissen angelastet, wozu es leider noch keine systematischen Studien oder belastbaren Beweise gibt. Einzelfälle scheinen diese Annahme allerdings zu rechtfertigen. Und in der Literatur zu den erwiesenen wenngleich nicht erklärbaren Fällen von Reinkarnationen finden sich Anhaltspunkte, dass der Drang zum Aufschieben als Wesenszug in ein späteres Leben mitgenommen worden sein soll.

Prokrastination, Echo eines vorherigen Lebens?

Beim Übergang in einer Reinkarnation sollen nach Vorstellung der Anhänger der Reinkarnation neben besonderen körperlichen auch charakterliche Eigenschaften erhalten bleiben können. Dass „mentale Prozesse nach dem Tod ihres Trägers sich erneut in empfindenden Wesen manifestieren können“ (WIKIPEDIA), ist in unserem heutigen kulturellen Umfeld ein ungewohnter, oft beängstigender und meistenteils unzulässiger Gedanke. Gleichwohl taucht auch in der europäischen Geisteswissenschaft der Gedanke der Reinkarnation immer wieder als erkenntnistheoretisches oder naturphilosophisches Konzept auf, beispielsweise bei Goethe, Lessing, Schlosser, Herder, Jean Paul u.a.

Die heutige empirische Reinkarnationsforschung listet alleine für das Jahr 2018 über 3000 entsprechende Phänomene auf, die dokumentiert und kritisch überprüft wurden.

Bei der Ursachsuche für ein schon „von Anfang an“ bestehendes, ausgeprägt aufschiebendes Verhalten wollen wir daher auch den Aspekt, dass sich die Gründe aus einer früheren Lebens-Erfahrung rekrutieren könnten, nicht gänzlich vernachlässigen – so schwer uns dieser Aspekt auch zugänglich sein mag.

Wir sehen dabei, dass unter dieser Annahme das verständliche Bestreben, allzu Störendes in seinem Leben in den Begriff zu bekommen, vor ganz besondere Herausforderungen gestellt wird. Gleichzeitig aber kann bei der Überwindung eines bisher nicht erklärlichen, zutiefst unergründlichen Aufschiebens sich noch ein neuer Zugang zum Umgang mit diesem Verhalten eröffnet.