Prokrastinations-App wie kalter Entzug?

Wer unter Zuhilfenahme von Computer und Intenet gerade an seiner Hausarbeit schreibt, lässt sich gerne und leicht ablenken durch die endlosen informativen und kommunikativen Möglichkeiten, die das Medium bietet, und die fast reflexartig mit der Ursache so mancher Prokrastination in Zusammenhang gebracht werden. Findige Programmierer haben dagegen ein Mittel in Form einer App entwickelt, die sie sinnigerweise „ColdTurkeyWriter“ genannt haben, was soviel wie „kalter Entzug für Schreiber“ bedeutet.

Dieses in der einfachen Version kostenfreie Programm kann man sich herunterladen, um sich alsbald einem strengen und kaum besiegbaren Joch einer unablenkbaren Planerfüllung zu unterwerfen – beliebig in der Menge der vorgenommenen Arbeit, aber unerbittlich in der Konsequenz, das gesteckte Ziel ohne die Möglichkeit eines erholsamen Abstechers in aufgabenfremde Aktivitäten zu erreichen.

Ob eine solche Krücke sinnvoll oder ein absoluter Quatsch ist, mag jeder vor dem Hintergrund seiner persönlichen Wertung des Prokrastinierens selbst entscheiden. Ich meine, Krücken sind immer nur temporäre Hilfsmittel, die, je länger sie im Gebrauch sind, umso länger die Erlangung einer persönlichen Autonomie herauszögern. Weil eine eigene, intrinsisch motivierte Entscheidung allemal wertvoller ist als ein äußerer Taktgeber – auch wenn wir ihn uns selbst bestellt haben.

Kalter Entzug, so wie wir ihn im Zusammenhang mit Drogen kennen, wird als kritisch und nicht ungefährlich eingeschätzt. Um die schlimmen Beschwerden abzumildern, wird oft mit Substituten gearbeitet, die dem Körper weniger abhängig machende Ersatzszoffe anbieten. Es kann nachgelesen werden, dass ColdTurkeyWriter-Nutzer in ihrer Not (der Not nämlich, ihr Prokrastinationsbedürfnis nicht ausreichend hinterfragt zu haben) sich in ähnlicher, selbstschützender Weise ihre eigenen Substitute gesucht und dabei viel Zeit verloren haben.