Prokrastination – eigentlich eine Entscheidungsblockade

In den Prokrastinations-Beratungen und Coachings zeigt sich, dass in besonderem Maße dann aufgeschoben wird, wenn eine, eigentlich die  wichtigste Handlungsvoraussetzung fehlt: die Entscheidung.

Im Laufe eines Tages treffen wir vermutlich Tausende von Entscheidungen, die jede für sich als völlig bedeutungslos erscheinen angesehen werden kann, je nach ihrem Kontext aber auch gewaltige Veränderungen und Konsequenzen nach sich ziehen. Die meisten dieser Entscheidungen (links oder rechts?,  dies oder das andere?, jetzt oder gleich?…) treffen wir unbewusst, aus der Erfahrung oder Notwendigkeit, oder überhaupt nicht, weil sie Teil eines Routineablaufs sind, dessen einzelne Schritte nicht mehr hinterfragt werden. Dennoch liegen immer Entscheidungsprozesse zugrunde, was wir dann merken, wenn wir einmal an einer beliebigen Stelle innehalten und eine Entscheidung gegen die Routine treffen. In einem solchen Moment kann uns bewusst werden, dass Entscheidungsroutinen in aller Regel ein Segen sind. Wie sollten wir die Flut von Mini-Entscheidungen bewältigen? Und wie sollten wir die „großen“, schwerwiegenden Entscheidungen je treffen können, wenn wir nicht auf eine riesige Entscheidungsbegleitstruktur, bestehend aus Wissen, Gefühl, Erfahrung, gesundem Menschenverstand, Absicherungsressourcen etc., zurückgreifen könnten? Genau dieser Fundus aber kann sich unserem unmittelbaren Zugriff entziehen, wenn die Entscheidung zu Begleitumständen oder zu Ergebnissen führen würde, die wir nicht wollen. In diesem Falle müssten wir den Entscheidungsprozess in seinen Einzelschritte überprüfen, wir müssten abwägen und bewerten, Konsequenzen durchrechnen und unseren Emotionen einen weiten Spielraum geben, und das kann dauern. Wer schon einmal ein offizielles Schachspiel beobachtet hat weiß, wie wichtig es ist, dass für jeden Spieler die Bedenkzeit für seinen nächsten Zug durch einen Timer begrenz wird, weil die Partie sonst unerträglich lange dauern würde.

Das Treffen von Entscheidungen fällt uns leichter, wenn wir wissen was wir wollen, schwerer, wenn insgesamt die Richtung unklar ist. Statt aber zunächst sich über das Warum und Wohin ins Klare zu kommen, konfrontieren sich viele Menschen sofort mit  dem Wunsch nach richtungsgebenden Entscheidungen, und schrecken gleichzeitig vor ihnen zurück, weil sie in ihrem Innersten fürchten, sich mit dem Ergebnis nichts Gutes zu tun: Das Eine zu tun kann immer auch bedeuten, das Andere zu bereuen. Vor dieses Dilemma lässt sich am leichtesten eine Pause einschieben, das Aufschieben von Entscheidungen bedeutet Aufschub der Erfahrung, dass die getroffene Entscheidung sich als falsch erweisen wird.

Dass dahinter ein systemischer Denkfehler steckt, vielleicht auch die Vorstellung von Perfektion oder unbegrenzter Verantwortlichkeit, sagt uns unser Verstand. Unser Bauch aber hält sich mit der Entscheidung „im Zweifel“ trotzdem zurück, und bremst das Handeln gleich mit aus.

Um die Tendenz zur Prokrastination in den Griff zu bekommen ist es daher wichtig, sich seiner bisherigen entscheidungsfördernden (oder auch hemmenden) Impulse bewusst zu werden, sie zu isolieren und gegebenenfalls zu verändern oder auszutauschen. Entscheidungsstrategien sind nicht ererbt, sondern im Laufe der Lebenserfahrungen angeeignet, trainiert und einer Eigenständigkeit übergeben, die von Zeit und Zeit überprüft werden muss – insbesondere, wenn man merkt, dass man in einer Entscheidungs-Sackgasse feststeckt. Dabei hilft es schon, zu sortieren, inwieweit ich mich schon mit Fragen und Entscheidungen zum „wie“ oder „was“ oder „wann“ beschäftige, wo das „ob“ noch überhaupt nicht geklärt ist.

Das Dilemma, das in der Gegenüberstellung zweiter scheinbar gegensätzlicher Entscheidungspositionen erlebt wird, und das in seiner Nichtauflösbarkeit jede konsequente Erledigung verhindert, kann übrigens auf den Prüfstein des „Tetralemma“ gestellt werden, das hier genauer beschrieben wird.