Macht Prokrastinieren dick?

Was sich eher wie eine unangemessene Unterstellung anhört, ist gleichwohl einer Überlegung wert. Der Psychoanalytiker Erich Fromm (gest. 1980 in der Schweiz) hat eine durchaus lesenswerte Schrift bezüglich der menschlichen Charakterzüge, Temperamente und Persönlichkeiten verfasst. Auch heute immer noch schlüssig zeigt er darin, dass Gewohnheiten aus den alltäglichen Abläufen, aber auch aus genetischen Festlegungen entstehen. Darin zeigt er grundlegende, oder auch veränderliche Unterschiede des Denken und Handelns zwischen „nicht-produktiven Orientierungen“ und „produktiven Orientierungen“ auf, zunächst als „Idealtypen“, nicht als Beschreibung von Charakteren bestimmter Individuen.

Dennoch finden wir in der Beschreibung der „nicht-produktiven Orientierungen“ Merkmale, die für den Aufschieber typisch sind, und die das derzeit aktuelle Konzept des Einflusses von Handlungs- und Lage-Orientierung bei der Willensbahnung vorwegnimmt. Die  zu erkennende Entscheidungsschwäche wird als Hilflosigkeit gesehen, die nach äußerer Unterstützung verlangt:

… Diese Hilflosigkeit ist von besonderer Bedeutung in den Angelegenheiten, die der Mensch nur alleine erledigen kann, wie zum Beispiel das Treffen von Entscheidungen und das Übernehmen von Verantwortung. … Der rezeptive Mensch liebt Essen und Trinken. Er neigt dazu, Angst und Niedergeschlagenheit auf dieses Weise zu überbrücken. … Gefüttert zu werden ist in ihren Träumen ein häufiges Symbol für geliebt werden; ausgehungert zu werden ist Sinnbild für Frustration und Enttäuschung. – Erich Fromm: Den Menschen verstehen

Ein solches grundlegendes Hungrigkeits-Gefühl kann vermuten lassen, dass es es auf die alltäglichen Ernährungsgewohnheiten abfärben kann. Auch Vermeidungshandlungen, die den/die Aufschieber/in an die Kaffeemaschine oder an den Kühlschrank führen, könnten Ursache einer erhöhten Kalorienzufuhr und vielleicht auch einer höheren Kleidergröße sein. Andererseits werden als typische  Ersatzhandlungen auch solche gewählt, die eher kalorienverzehrenden Tätigkeiten darstellen, so dass letztendlich jeder Prokrastinationsbetroffene allein für sich selbst feststellen muss, ob und in welchem Maße das frustrierende Aufschieben bei ihm/ihr mit zusätzlichen Naschereien als nicht verdiente Belohnung oder als gewisser Trost für die immer wieder neu erfahrene Enttäuschung bedacht wird.

Insgesamt muss auch für das Prokrastinieren gelten: als Äußerung einer seelischen Unausgeglichenheit läuft sie immer auch Gefahr, sich in körperliche Folgeerscheinungen fortzusetzen.