Ich würde / (2)

Bei genauen Hinsehen steht bei einem Aufschieben, das von einem „Ich würde ja gerne…“ begleitet wird, die Würde auf dem Spiel – ein Begriff und eine Eigenschaft, die etwas aus der Mode gekommen ist, der sich aber eine Prokrastinationsbetrachtung nicht entziehen kann.

Die Würde des Menschen ist, entgegen der Wunschbehauptung in unserem Grundgesetz, durchaus antastbar. Sie wird vielmehr täglich millionenfach gebeugt, verletzt, verraten – von anderen und von uns selber. Aber wir wollen es nicht wissen, wir lassen es geschehen, und sind selber Akteure dieses Verrats – aus Eigennutz.

Was ist diese Würde, und warum steht sie hier in einem Prokrastinations-Blog zur Debatte?

Machen wir uns klar, dass menschliches Handeln und Entscheiden eine Orientierung braucht. Diese kommt vielleicht von außen verordnet aus einer Tradition, einer Religion oder einem autoritäten Herrschaftssystem . Vielleicht aber auch aus einem Kanon innerer Richtlinien, die wir von einer wohlmeinenden Erziehung mitbekommen haben. Dann ist sie uns ein inneres Bild und ein Gefühl darüber, wie unser Verhalten gegenüber dem Mitmenschen und der Umwelt richtig ist. Diesem Bild, diesem Gefühl zu folgen, kompromisslos zu folgen schafft (und erfordert) eine Haltung, die wir als Würde bezeichnen.

Eine Aufgabe zu erledigen ist ein würdevoller Prozess, wenn diese Aufgabe meinen ureigenen Prinzipien entspricht. Sie nicht zu erledigen – aus Bequemlichkeit, Ängstlichkeit oder Schwäche – kann im Gegensatz dazu meine Würde verletzen. Aber auch das Umgekehrte gilt: Auch Nicht-Tun wird sich immer an den Maßgaben der Würde messen lassen müssen.

Wer in der Formel des: „Ich würde ja schon…, aber…“ gefangen ist und deswegen erst einmal aufschiebt, befindet sich möglicherweise in einem selbstzerstörerischen Spannungsfeld zwischen dem Wunsch nach Konfliktlosigkeit und persönlicher Geborgenheit einserseits und einer persönlichen Autonomie und Handlungs- und Entscheidungsfreiheit auf der anderen Seite, wo das freie und kompromisslose Befolgen der persönlichen Wertmaßstäbe möglich ist.

Nicht zu tun, was richtig wäre, aber unbequem zu werden droht, scheint eine lässliche Sünde zu sein, die oft genug ungeahndet bleibt und daher gerne wiederholt wird. Es ist aber immer auch eine Kapitulation vor den eigenen Schwächen, und letztlich ein freiwillig geübtes Verhalten, mit dem wir unsere angeblich so unantastbare Würde bereitwillig über Bord werfen.

Menschen schieben auf, was lästig ist, schwierig, unbequem, unsicher, bedrohlich oder unpassend. Und Sie tun das, ohne sich dabei groß Gedanken über ihre Würde zu machen. Das ist verständlich. Wer aber mit den Folgen einer ausufernden Prokrastination zu kämpfen hat, sollte sich die Frage stellen, ob er sich die Verletzung seiner Würde wirklich noch dauerhaft zumuten will.