Corona lässt uns fasten

Das Aufschieben von Bewegungs-Freiheit

„Seien Sie geduldig!“ und „keine Erleichterung bis zum 20. April“, das sind die Aussichten, mit denen unser Entscheidungsspielraum massiv eingeschränkt bleibt – nicht nur, was die Bewegungsfreiheit angeht. Das macht uns nervös, nicht zuletzt, weil wir gewohnt sind, uns durch unsere Entscheidungen (und das, was wir dann daraus machen) definieren. Selbst entscheiden ist für uns der Inbegriff persönlicher Freiheit. So kämpfen wir gegen die Einschränkungen an, durchbrechen sie, und sind stolz darauf: Ich bestimme! Aber mal ehrlich: wie viel von dem, was wir entscheiden, ist wirklich unser eigenes?

Wie viel Entscheidungsfreiheit geht uns wirklich veloren?

Wir alle haben Instanzen, an die wir das schwierige Geschäft des Entscheidens delegiert haben. Da sind als allererstes die Routinen, Gewohnheiten und Homöostasen, die uns wahrscheinlich 90 % der Entscheidungsarbeit abnehmen. Da sind dann äußere Einflussgrößen wie Zufall, Schicksal, die Umstände, Autoritäten und zwingende Wenn-dann-Beziehungen – insgesamt vielleicht weitere 10 %. Der Rest bleibt bei uns. Aber wer oder was in uns kümmert sich darum? In Wahrheit wollen da viele mitreden: Der Kopf, der mit seiner Intelligenz, Intelligenz und Erfahrung, seinen Spiegelneuronen und seiner Fähigkeit zur Antizipation sich gerne obenan stellt, gefolgt vom Bauch. Bauchentscheidungen stehen hoch im Kurs – zu Unrecht, wie ich meine (aber das ist ausreichend Stoff für ein weiteres Thema). Immerhin werden Intuition, Moral und Gewissen, Gefühls und Emotion als gewichtige Entscheidungsträger gerne dort verortet. Dort benachbart ist auch das Herz, das hier mitspielt. Zum inneren Entscheidungs-Team gehören noch weitere Regionen und Produkte des Körpers, wie z.B. das limbische System im Gehirn, das Zusammenspiel der Hormone, das prozedurale Gedächtnis, das und bei den Gewohnheiten und Routinen hilft. Sie alle sind ständig dabei, unsere Reaktionen auf die ständig sich verändernden Lebensbedingungen zu justieren, ohne dass wir wissen können, welche am Ende des Tages die ausschlaggebende war.

„Wir entscheiden prinzipiell nur das, was unentscheidbar ist“

Was wir bei alledem anerkennen müssen ist, dass wir im Grund genommen leider immer nur solche Entscheidungen vorzunehmen haben, die streng genommen nicht entscheidbar sind (Heinz von Förster-Theorem). Warum? Weil alle entscheidbaren Fragen schon entschieden sind. Denn sie sind in Bereichen gefragt worden, in denen die Spielregeln schon festgelegt sind. Nur das Nicht-Entscheidbare steht noch zur Entscheidung an. Eine philosophische Nuss zu knacken, aber auch ein Hinweis darauf, dass wir die Sache mit dem eigenen Entscheiden in dieser oder jener oder in der derzeitigen Situation nicht zu stark bewerten sollten.

Ich meine

Ich meine: Wenn es hilft, dem Virus seine Übertragungswege abzuschneiden, ist es ein vertretbarer, ja, ein wertvoller Ansatz, eine zeitlang die nötige Distanz einzuhalten, ohne deswegen vor Wut gleich überzukochen. Freiheit und Bewegung sind Güter, über die wir in diesem Land so großzügig verfügen können, dass wir sie sogar aus wichtigen Gründen, in begrenztem Umfang und für kurze Zeit auch ruhen lassen können. Ohne sie aus den Augen zu verlieren. In einer Art Fastenzeit (die eh jetzt ansteht), in der wir bewusster werden, und das, auf das wir momentan verzichten, umso mehr zu schätzen wissen. Verzicht macht neue Lust auf das, was man vermisst.