Rückfall in die Prokrastination?

Rückfall in die Prokrastination?

Wie ist dieses Phänomen zu erklären? Ist es so, dass die Methode versagt, weil ‚Undiszipliniertheit‘ oder gar ‚Unwillen‘ dann doch wieder den Erfolg vereiteln, oder steckt nicht doch eine ganz andere Erklärung dahinter?

Der neue Umgang mit dem Aufschieben: ein bewusster Prozess

Die Behandlung einer störenden Aufschiebegewohnheit hat bei pro-cras, um erfolgreich zu sein, ein klares Behandlungsziel, das gemeinsam gesetzt wird. In der Regel wird der angestrebte Endzustand dahingehend bestimmt, dass die Betroffenen das Erledigen ihrer beruflichen oder persönlichen Anforderungen so in ihren praktischen Alltag integrieren können, dass sie weniger reflexartig, dafür umso bewusster sich entscheiden können. Wenn ein gelegentliches oder auch schon lange praktiziertes Aufschieben nicht mehr stattfinden soll, stellt sich die Frage, wie denn eigentlich der Wunschzustand für die Betroffenen aussehen soll?

Wunschziel: Schluss mit dem Prokrastinieren

Aufgaben im vorgesehenen Zeitplan zu erledigen, bleibt oft ein frommer Wunsch. Denn die Realität eines jeden Alltags hat ihre Tücken: Anforderungen können uns unangenehm, schwierig, zeitaufwändig oder einfach nur lästig vorkommen, so dass die Versuchung lockt, sie auf später zu verschieben. Dagegen wäre zunächst nicht einmal Wertendes einzuwenden, wenn wir solche Entscheidungen wirklich bewusst und nicht als puren Reflex entstehen lassen. Es kann allerdings passieren, dass mit einem rein lustbetonten oder anstrengungsvermeidenden Aufschieben ein eigener und dauerhafter Lerneffekt in Gang gesetzt wird – was dann passiert, wenn der Aufschub ohne erkennbare Negativfolgen durchzugehen scheint.

Schwer zu ertragendes Wohlgefühl

Wer aufschiebt, kann oft mit wenig Aufwand zu einer günstig erzeugten Erleichterung kommen, und hat damit einen geschmeidigen Zugang gefunden, wie man mit dem Unangenehmen auch künftig scheinbar gelassen umgehen kann, und einen lästigen Energieaufwand einspart. Beschert man sich solchen Luxus oft, so ist dies jedoch nicht nur insgesamt unproduktiv, sondern auch für die Prokrastinierenden schwer zu verarbeiten. Täglich mehrfach zu erleben, dass man bei aller Entspannung doch letztlich wieder einmal „gescheitert“ ist, und zu wissen, dass mit dem Scheitern die Wahrscheinlichkeit negativer Folgen wächst, erweckt irgendwann den Wunsch, aus dieser Gewohnheit wieder auszusteigen. Aber wie jede Gewohnheit ist auch diese hier leider ziemlich anhänglich.

Der Prokrastination zu folgen, bedeutet Disstress

Menschen mit chronischem Aufschiebeverhalten erleben einen unguten Stress gleich zwei mal: unmittelbar in dem druckvollen Moment, der durch das Aufschieben entlastet werden soll, und dann später noch einmal, wenn die ausgebliebene Erledigung wieder aufgerufen wird, wenn sich dadurch Scham oder Schuldgefühle melden, oder wenn die Folgen der nicht erbrachten Erledigung als Verlust oder als Strafe spürbar werden.

Aussagen wie „Hätt’ste doch eher mal…“ oder „Selber Schuld“ oder „Jetzt kannste sehen, wie du da wieder rauskommst“ sind für Menschen, die sich seit langem schon mit einer Aufschiebegewohnheit quälen, besonders beschämend, weil sie suggerieren, sie seien entweder zu faul, oder zu dumm, um die schädlichen Zusammenhänge erkennen zu können. Scham und Angst, gepaart mit dem Gefühl der Hilflosigkeit, sind keine guten Motivatoren. Sie verstärken im Gegenteil weiter die Vermeidung und die Versagensgefühle.

Therapieziele und Alltagsverträglichkeit

Chronische Aufschieber sind in ihrer Konfliktlage auf der Suche nach einem Gefühl subjektiver Normalität. Sie erfahren die Situationen, die sie zum Aufschieben führen, als zunächst ausweglos. Das Streben nach Unversehrtheit im Außen und das Streben nach innerer Stabilisierung wirken gegeneinander. In dem starken Bemühen um einen guten Umgang mit sich selbst auch in den nicht bewältigbaren Erledigungsenanforderungen wünschen sie sich nur noch den einen sicheren Wohlfühlraum, der aber nicht im Konflikt, sondern allenfalls im ‚Später‘ zu finden ist. So erschaffen sie sich mit dem Aufschieben einen Kompromiss zwischen den Anforderungen des Projekts und der Notwendigkeit, sich selber ausreichend „gut“ zu fühlen.

Erfolgreiche Prokrastinationsberatung ist Beziehungsarbeit

In vielen Prokrastinationsratgebern ist davon die Rede, dass Betroffene zu einem geordneteren Lebens- oder Arbeitsstil „motiviert“ werden sollen. Doch gibt es keine wissenschaftlich auf ihren Erfolg hin geprüften Methoden und Handlungsanweisungen, wie ein solches erfolgreiches Motivieren auf der Verhaltensebene aussehen soll: Man kann Menschen nicht zu Verhaltensweisen „motivieren“, die sie nicht verstehen, erlernen oder durchhalten können oder schlichtweg nicht wollen. Im Grunde genommen steht diese Einschränkung bereits beim Beginn eines jeden Beratungsgesprächs unausgesprochen, aber unübersehbar im Raum: Wenn man versuchen sollte, Ziele zu vereinbaren, an denen der Patient nicht wachsen kann, also letztlich scheitern wird. Wie aber sollte Prokrastinationsbehandlung aussehen, damit ein  langfristiger Erfolg möglich ist?

Beziehungs-weise ins Tun kommen

Als jemand, der/die sich bereits sehr an das Aufschieben als eine naheliegende „Erledigungs“-Form gewöhnt hat, brauchen Sie eine fachkundige Begleitung, die die Bereitschaft mitbringt, das Aufschieben als Hinweis auf eine besonderen Art von Beziehung zu erkennen: Eine Beziehung, die im Moment des Einstiegs in das anstehende Projekt begründet wird. Der dafür beste methodische Ansatz ist systemisch. Er sorgt dafür, dass die bisher ineffektiven Erledigungsweisen identifiziert und projekt- und beziehungsinterne Konflikte gestoppt werden. Und schließlich neue und größtmögliche Handlungsspielräume entstehen.