Prokrastination und das Klima

Was die Existenzberechtigung der Prokrastination so radikal in Frage stellt, ist bei aller genüssliche Momentanentspannung ihre Aussicht auf Selbstzerstörung und der Unumkehrbarkeit. Diese beiden Eigenschaften wenden sich ebenso gegen den Prokrastinierer wie gegen sein persönliches wie berufliches Umfeld und gegen seine Zukunft.

So hat Prokrastination in direkter Weise eine starke Parallele zur Klimaproblematik:

  • Sie ist bedrohlich für die Zukunft,
  • sie hat eine deutlich exponentielle Dynamik,
  • sie kennt Kippschwellen, deren Überschreitung zu einer weitere qualitativen Verschlechterung der Situation bzw. zu einer totalen Handlungsunfähigkeit führt,
  • sie enthält selbstverstärkende Prozesse, die dafür sorgen, das das schädliche Verhalten gegen jede Vernunft fortgeführt wird,
  • wir fordert uns auf, umgehend etwas dagegen tun, aber wir wissen oft nicht, was, oder wie, wann oder wo.
  • sie stößt auf mangelnde Bereitschaft, angenehme Gewohnheiten oder Bequemlichkeiten aufzugeben,
  • und eine Verbesserung durch ein simples „weiter so“ ist nicht zu erwarten.

Wenn Aufschieben es allmählich in den Status einer scheinbar akzeptablen Handlungsoption geschafft hat, so sicherlich auch deswegen, weil es schon so manches Mal gut gegangen ist, weil die Dinge sich vielleicht sogar von selber zum Besten geregelt haben, und weil das unveränderte Abwarten jede Menge Raum für persönliche Annehmlichkeiten gelassen hat. Aus diesen Erfahrungen dürfen dann Legenden, regelrechte Heldengeschichten ihren Weg bis an den Tresen oder ans Lagerfeuer erobern. Dem Fakten-Check und dem ursprünglichen Qualitätsanspruch halten sie in aller Regel nicht stand.

Wie der Klimawandel, so fordert uns die Prokrastination auf, die Dinge in ihren systemischen Zusammenhängen zu sehen, und Parallelen und Gleichzeitigkeiten, aber auch die innewohnenden Chancen wahrzunehmen. Die Symptome sind ja unübersehbar, die Konsequenzen kündigen sich deutlich an. Natürlich können wir immer noch so tun, als hätten wir alles im Griff, die alten Taschenspielertricks funktionieren noch. Wir können uns aber jetzt auch die Frage stellen, wie wir ein Nicht-Tun noch verantworten wollen.

Klimawandel bleibt eine unveränderte Konstante, solange die Möglichkeiten eines nachhaltigen CO2-Managements nicht in aller Konsequenz genutzt und die Veränderungsmaßnahmen weiter aufgeschoben werden; Aufschiebegewohnheiten bleiben so lange nicht-handlungs-bestimmend, wie die (aversive) Bewertung gewisser kritischer Situation und deren (untaugliche) Bewältigungsroutinen nicht einem längst fälligen „Update“ unterzogen werden.

 

Dass die Klimaproblematik und die Gewohnheit eines leichtfertigen Handlungsaufschub hier in einem Atemzug genannt werden, ist einleuchtend: Seit einem halben Jahrhundert sind die Zukunftsfolgen einer unverantwortlichen Ausbeutung unserer Ressourcen bekannt, und ebenso lange werden die Gegenmaßnahmen angesichts der bekannten Massenträgheit und der Komplexität der Materie von den Entscheidungsträgern vor sich her geschoben. Vielleicht, weil es so bequemer ist, vielleicht auch, weil über die Veränderbarkeit prokrastinativen Verhaltens allgemein noch viel zu wenig bekannt ist.

Sehr genau allerdings wissen wir aus der Prokrastinationsforschung, dass gutes Zureden allein nichts bewirkt. Worauf sich immer wieder verlassen wird als typischer Handlungsinitiator ist üblicherweise der ansteigende Druck von außen, der als „extrinsische“ Motivation Wirkung, aber keine besonders gute Reputation hat: So erzeugt auch der derzeitige freitäglche Futur-Druck der Straße zwar Öffentlichkeit, aber auch so manchen nicht Gegendruck, und den zu befürchtenden vermehrten Druck gegen die Nordseedeiche vermag sich auch keiner wirklich vorzustellen. Bleibt nachhaltig also noch der Druck per innere Einsicht. der vor allem mit den eigenen Widerständen zu kämpfen hat. „Intrinsische“ Handlungsmotivation wäre der „Königsweg“ zur individuelle, ich-syntonen Prokrastinationsüberwindung – auch im Sinne des Klimas. In der pro-cras-Intervention gehen wir diesen Weg mit Sorgfalt und Systematik an. Wir nennen ihn den LEZGO!-Prozess. Er führt auf sehr komprimiertem Wege dazu, dass die ganz individuellen Aufschiebe-Trigger gefunden, benannt und verändert werden können.