Der lange Weg vom Können zum Wollen

Es ist so schnell dahingesagt: „Du musst nur ein bisschen fester wollen!“ Aber lässt sich Prokrastination mit reiner Willenskraft überwinden? Schön wär’s. Schließlich ist bei genauem Hinsehen aus einem Wunsch schnell ein hübsches Wollen formuliert – wir alle haben ja inzwischen gelernt, dass wir uns zwecks Zielerreichung verbal impfen müssen. Warum passiert dann trotzdem manchmal nichts?

Die Formel lautet:

Ich muss auch „können“, was ich mir vornehme (also die Fähigkeiten und Fertigkeiten haben). Und dann muss ich „können“, was ich kann (die Gegebenheiten müssen es mir erlauben). Weiterhin muss ich „wollen“, was ich kann (ich muss also meinem Können einen Handlungsimpuls geben). Und schließlich muss ich „wollen“, was ich will (d.h. das Geschehen muss ursächlich aus mir allein kommen). Theoretisch kann ich mir zu der letzten Forderung (wollen, was ich will) immer neue Überprüfungsinstanzen vorstellen, ob die tragende Überzeugung wirklich meine eigene ist – was glaubhaft macht, dass unser simples  „Ich will das jetzt erledigen“ nicht immer völlig unbegründet von  einem dahinter geschaltetes Nicht-Wollen = Nicht-Können  = Nicht-Tun gefolgt wird.

Hinter alledem steht die seit Jahrhunderten kontrovers diskutierte Frage, wie weit überhaupt dem Menschen eine Handlungsfreiheit bzw. Handlungswirksamkeit und dann auch eine Willensfreiheit gegeben ist.

Dem Übeltäter, der seine Verbrechen als geistig Kranker oder unter den Einfluss von Drogen begangen hat, ist unsere Justiz zu Recht bereit, eine Verminderung der Schuldfähigkeit und Verantwortlichkeit zuzugestehen. Und wer aufgrund einer psychischen Störung nicht die Kraft hat, seinen Willen in die Tat umzusetzen, kann ebenfalls auf verminderte Handlungswirksamkeit für sich konstatieren. Nutzen wird es ihm allerdings wenig: Das Finanzamt wird ihm trotzdem die üblichen Versäumniszuschläge berechnen, und die Mahnschreiben gehen ihm weiter mit den selben Konsequenzen zu.

Aus der Vorstellung, dass wir letztlich nie verantwortlich für unser Tun wären (weil immer von stärkeren Mächten gesteuert), entwickelt sich allerdings dann auch die Folgerung, dass wir nie wirklich frei sein können, zu tun, was wir wollen. Dass wir uns trotzdem als Urheber unserer Taten sehen und uns insofern an ein allgemein verbindliches Rechts- und Gerechtigkeitssystem gebunden fühlen (auch wenn es möglicherweise vor dem Hintergrund einer illusionären Handlungs- und Willensfreiheit entstanden ist), tut uns selbst und unserem Zusammenleben in der Gesellschaft gut. Schließlich wird ja auch unser Bemühen um die Wiedererlangung unserer Autonomie im Wollen und Handeln nicht nur nach seinem Erfolg, sondern bereits als Zeichen unserer Bereitschaft, die Gesellschaft als tragende Institution anzuerkennen, wahrgenommen.

Im pro-cras-Coaching erkennen wir die naturgegebene Labilität des menschlichen Willens an. Wir versuchen auch nicht, Willenskräfte wie Muskeln aufzubauen und zu trainieren. Wir haben obendrein anzuerkennen gelernt, dass permanentes Fordern des Willens die Willenskräfte bis zur totalen Erschöpfung auslaugen kann. Wir richten unsere Arbeit stattdessen darauf aus, dem einmal gefassten Willen ein ganzes Arsenal von unterstützenden Maßnahmen und Techniken an die Seite zu stellen und belastende Begleiterscheinungen unschädlich zu machen.