Aufschieben – eine Kunst

Die Tendenz, etwas aufzuschieben, findet sich im Beginn eines schöpferischen Prozesses, im Durchhalten und im Beenden. Sie heißt dann „Schreibblockade“, „mir fällt nichts mehr ein“ oder „das kann ich unmöglich so abgeben“.

Es soll Maler geben, die ihre eigenen Bilder im Museum nicht besuchen dürfen, weil sie der Versuchung nicht widerstehen können, immer weiter daran herum zu verbessern. Auch der Großmeister Leonardo da Vinci hinterließ Gemälde, die er nie zu Ende gemalt hat. Er hatte offenbar zu viel zu tun und die Geduld oder die Lust am Abschluss verloren.

Komponisten schrieben musikalische „Unvollendete“, wobei keineswegs immer der der Tod sie am Abschluss hinderte (wie etwas bei der 10. Sinfonie Gustav Mahlers). Schuberts „unvollendete“ Sinfonie ist offenbar das Opfer eines allzu kritischen Entscheidungsprozesses geworden.

„Künstlerische Pausen“ wurden nicht nur als Erklärung für aufgeschobene oder abgebrochene Arbeitsprozesse herangezogen – sie wurden auch ausführlich in der Romanliteratur beschrieben. Berühmtestes Beispiel ist wohl bei Marcel Proust in seinem „Schatten junger Mädchenblüte“ nachzulesen. Hier beschreibt der Autor offenbar aus der höchst eigenen Kenntnis der Prokrastination, wie sich das Aufschieben vor die Erledigung stellt und äußerst effizient gegen alle Versuche stemmt, sie zu überwinden. Besonders in diesem Roman, der aus einer Epoche der Schöngeistigkeit und subtilen Vulnerabilität in unsere Zeit ragt, werden die typischen Merkmale der Prokrastination offen gelegt: die Befürchtung oder Angst vor Verletzung des Körpers, der emotionalen Barrieren, des Selbstwertes, des Ansehens, und des persönlichen Wohlbefindens.