Wann „Bekämpfen“ keinen Sinn macht
"Erst wenn wir verstehen, wie und warum wir etwas tun, können wir darangehen, es künftig ein bisschen besser zu machen"
23 Szenarien, in denen „bekämpfen“ typischerweise keinen Sinn ergibt :
- Manche, die ihre Erfahrung des Prokrastinierens machen, möchten damit ihre Unlust bekämpfen oder ein Unvermögen, eine Angst oder einen inneren Widerstand.
- Sie kämpfen gegen etwas, das sie daran hindert, ihren Leistungswillen auszuleben. Wenn dann ein kleines, nicht einmal sichtbares Hindernis im Weg steht, wird nur noch das Kämpfen in den Vordergrund gestellt, nicht mehr das Wollen.
- Sie machen Ihre Prokrastinationserfahrungen oft lange schon, als Kind, in der Schule oder im Studium, später dann im Beruf, in ihren ganz privaten Projekten, in allen möglichen Lebensphasen oder gesellschaftlichen Umfeldern – oder auch überraschend, überfallartig, lähmend. Eine Art Taubheit gegenüber dem Projekt.
- Stattdessen stehen sie dann vor dem (Selbst-)Vorwurf der „Faulheit“, und kämpfen gegen eine solche Einschätzung, die nicht berechtigt ist, unicht zutrifft, aber trifft. (Der Spezialist wird dann sagen, dass dahinter vielleicht eine „frühkindliche prozedurale Verweigerung“ steckt, die dann ein Leben lang auf Anforderungen reagiert und als antagonistische Aversion die Aufschiebetendenzen dauerhaft in Gang hält. Aber wichtiger noch als erklärende Worte ist doch ein gangbarer Weg, wie wir damit umgehen sollen!)
- Denn manche sind ja „eigentlich“ hoch motiviert und voll guten Willens, gleichzeitig aber wie gelähmt, und deswegen emotional hin- und hergerissen. Zum Beispiel, wenn in ihnen ein übertriebener Perfektionismus und ein darin versteckter Pessimismus und die Sorge um einen höchst zerbrechlichen Selbstwert zusammentreffen.
- Sie erleben sich als ungeduldig, unfokussiert, unorganisiert und rastlos, entsprechend rasch frustriert. Sie schwenken dann lieber über zu etwas anderem, wie zwanghaft, und lassen sich unfreiwillig und doch sehr willig ablenken von dem, was sie eben noch als wichtig anerkannt haben. Oft werden sie daher mit einer Aufmerksamkeitsstörung in Zusammenhang gebracht
- Die nicht ausreichend verhinderte und fortschreitende Umlenkung oder totale Erosion ihrer Aufmerksamkeit ist jedoch mit einer solchen Diagnose nicht hinreichend und auch nicht zielführend beschrieben.
- Vielleicht hat ihr Ordnungssystem einen Schock oder einen unerkannten Riss bekommen, oder sich tatsächlich nie verlässlich etablieren können. Vielleicht ist das Ziel der Aktion zu ungenau oder inakzeptabel, sodass die leicht verfügbaren Ablenkungen ihr ebenso leichtes Spiel haben.
- Bei allem Wollen verzweifeln sie dann an einer scheinbaren Willensschwäche, die im Grunde eine Erledigungs- und Entscheidungsunsicherheit ist, und sie eigentlich gar nicht richtig wollen, was sie zu wollen vorgeben.
- Was ihnen dabei am meisten zu schaffen macht ist, was sie als Disziplinlosigkeit erleben. Aber fehlende „Disziplin“ hat viel weniger mit Willensschwäche zu tun als mit der mangelnden Fähigkeit, zukünftigen Nutzen hoch genug, und das Nutzenopfer niedrig genug einzuschätzen.
- So kämpfen sie anfangs auch gar nicht gegen den Drang, ihre Erledigungen bis auf den letzten Drücker zu verschieben, sondern zunächst nur gegen die Regel eines regelgerechten Erledigens. Der Wunsch nach Freiheit übt sich dann mehr in Flexibilität als in Struktur.
- Später wurden sie immer geschickter im Umgang mit ihrer Prokrastination – bis es irgendwann nicht mehr ausreichte, gut zu sein im Improvisieren.
- Dann kämpfen sie, weil sie ihre Lust am Tun nicht richtig genießen, oder das Ergebnis sich nicht herbeisehnen und wertschätzen können.
- Andere tun’s, weil sie längst abhängig sind nach dem Kick des ansteigenden Arbeitsdrucks, oder nach der heimlichen Wette, die sie gegen die Deadline gewinnen wollen – ein Spiel, das sie hinter der Maske der lustvollen Belohnung auf perfide Weise süchtig macht.
- Manche wollen kämpfen, weil die Kosten des Prokrastinierens ins Unüberschaubare wachsen. Dabei spüren sie die „Kosten“ nicht nur wirtschaftlich, sondern auch gesundheitlich, körperlich und auch seelisch.
- Manche kämpfen inzwischen bereits gegen das Kämpfen selber an, weil sie im Laufe ihres langen Sisyphuskampfes gegen das Aufschieben entscheidungsfaul werden. Dann gehen sie dazu über, ein Vorhaben einzufrieren, für das sie eigentlich brennen sollten.
- Oder weil sie die Ruinen ihrer alten Projekte nicht abschließen und nicht vollständig wegräumen können. Sie lieber weiter behalten, weiterpflegen und chronisch horten, wie einen übriggebliebenen einzelnen Socken.
- Irgendwann passiert es, dass nicht nur Ihre Projekte, sondern auch Sie selber in die Jahre gekommen sind. Nur Ihre Prokrastination verliert sich nicht im Alter. Die Sinnentleerung des Festhaltens findet dann ihre Unterstützung in einer Depression oder depressiven Verstimmung.
- Dann, und in allen anderen Szenarien, in denen Prokrastination im Lichte einer Erkrankung, einer Verhaltensstörung, einer Persönlichkeitsveränderung oder sonstigen psychoanalytischen Benennung erscheint, ist das „Bekämpfen“ und „Überwinden“ des Drangs zum Aufschieben allenfalls eine kurzfristige Überbrückung, aber keine langfristige und nachhaltige Strategie.
- Im höheren Lebensalter schwindet die Bereitschaft, sich mit unklaren oder schwierigen Erledigungen abzugeben, und der Kampf gegen das Aufschieben wird verloren an eine neue, übergroße körperliche und geistige Müdigkeit – obwohl gerade jetzt noch Energie gesucht wird, um das Leben zu ordnen.
- Der Kampf gegen das Aufschieben hat dann auch seinen Sinn verloren, wenn, wie so oft, das Nicht-Erledigte seinen Weg nicht mehr zurück in die Zeit findet. Kairos, der vorbeifliegende Moment der richtigen Gelegenheit, wird mit einer Glatze am Hinterkopf dargestellt und ohne den dichten Schopf, an dem er beim Herannahen leicht zu packen ist.
- Nicht mehr zu kämpfen bedeutet aber keineswegs aufzugeben, sondern in eine andere, sinnvollere und erfolgversprechende Vorgehensweise zu investieren. In ein neues Ziel, das jetzt nicht mehr heißt: Prokrastination zu überwinden, sondern: Dank ihrer Hilfe eine konstruktive und selbsterfüllende Symbiose mit dem Projekt zu erreichen.
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