Wenn Scham die Prokrastination verstärkt

Prokrastination ist schlecht angesehen, denn sie unterminiert unseren Selbstwert und auch das schöne Bild, das andere sich von uns machen sollen. Kein Wunder also, dass man sich seiner Prokrastination schämt. Leider ein Teufelskreis, wenn die Scham uns daran hindert, uns endlich dem  Nichterledigten zu widmen.

Wie können wir ihn durchbrechen?

Ein ungewohnter Blick auf das Scham-Geschehen

Wir können uns ent-schuld-igen, wir können uns aber nicht ent-scham-igen, was ganz einfach daran liegt, dass zwar Schuld ein in uns entstehendes Gefühl ist, Scham hingegen uns ursprünglich von einem Dritten eingebracht wurde. Wir nennen das dann „Be-schämung“. Vielleicht haben wir das noch nie so gesehen, weil wir Scham allzu leicht mit Schuld verwechseln, aber machen wir uns klar: Erst wenn wir die Haltung des Dritten ausreichend verinnerlicht haben, kann er uns be-schämen, ausschließen, kränken und demütigen. Erst dann ist die äußerliche Ursache bei uns auf einen fruchtbaren, das heißt für Beschämung sensiblen Boden gefallen, fühlen wir dermaßen unauslöschlich die Scham, dass wir im Erdboden versinken könnten.

Aus diesem Prinzip heraus kann auch nur ein Dritter mich aus meiner Scham befreien – nur eben nicht mit einem raschen „Ich ent-scham-ige dich!“ (aus dem oben gesagten ist klar, warum nicht einmal die Sprache das hergibt). Die Befreiung erfolgt, wenn der Dritte die Wiederaufnahme in die Gruppe ermöglicht, indem er die Scham als das erkennt und anerkennt, was sie ist: Nicht die der Scham vorangegangene Handlung, sondern die Beschämung durch den Dritten aus seinem ethisch-moralischen Konzept heraus lässt, ganz unausgesprochen, die Scham entstehen.

Ent-Scham-igung

Eine „Ent-Scham-igung“ kann also nur geschehen, wenn der (unbewusst oder gezielt) beschämende Dritte die hervorgerufene Scham und die damit verbundene Demütigung und Kränkung erkennt und anerkennt – und mir hilft, meinen Platz in der Gemeinschaft wieder zu erlangen. Natürlich ist er nicht Urheber der fraglichen Handlung, aber er ist mit seinem Konzept an der Entstehung der Beschämung beteiligt. Und nur er kann durch Wahrnehmung der Scham das Gleichgewicht wieder herstellen.

Umsetzung

Wenn also im praktischen Umgang mit der Prokrastination sich Schamgefühle als Hindernisse aufgebaut haben, wird es helfen, mit „offenem Visier“ bei demjenigen, gegenüber dem wir uns schämen, die eingetretene Beschämung anzusprechen – nicht in unserer Rolle als Sünder, sondern als Beschämter, damit er die eingetretene Beschämung erkennen und seine Rolle dabei verstehen kann: Sie hat nicht mit unserer Scham, wohl aber mit seiner Beschämung zu tun. Nur dann werden sich Beschämung und Scham auflösen können.

Und wir gewinnen damit einen neuen und verständnisvollen Verbündeten im Kampf gegen unsere Prokrastination.